Ein Insiderbericht
Andrew Lowenthal hat sich mehr als zwei Jahrzehnte lang beruflich für digitale Rechte eingesetzt und musste dann feststellen, wie seine Kollegen und Partnerorganisationen von der Verteidigung digitaler Rechte radikal umschwenkten und sich dem „Kampf gegen Desinformation“ verschrieben. Ein Bericht aus dem Inneren des NGO-Systems von Andrew Lowenthal, übersetzt aus dem Englischen von Maike Gosch.
Ich wusste, dass die Dinge in meiner Welt nicht gut standen, aber die Wahrheit war dann noch viel schlimmer, als ich es erwartet hatte.
Mein Name ist Andrew Lowenthal. Ich bin ein progressiv (im Deutschen etwa: links-liberal, Anm. d. Übers.) denkender Australier und war fast 18 Jahre lang Geschäftsführer von EngageMedia, einer in Asien ansässigen NGO, die sich für Menschenrechte im Online-Bereich, Meinungsfreiheit und offene Technologien einsetzt. Mein Lebenslauf umfasst auch Stipendien am Berkman Klein Center der Harvard University und am Open Documentary Lab des MIT. Die längste Zeit meiner Karriere war ich sehr von meiner Arbeit überzeugt, bei der ich dachte, es ginge um den Schutz und die Erweiterung digitaler Rechte und Freiheiten.
In den letzten Jahren musste ich jedoch mit wachsender Verzweiflung beobachten, wie sich in meinem Fachgebiet ein dramatischer Wandel vollzog. Plötzlich begannen Organisationen und Kollegen, mit denen ich jahrelang zusammengearbeitet hatte, den Fokus immer weniger auf Presse- und Meinungsfreiheit zu legen und sich auf ein neues Gebiet zu konzentrieren: den Kampf gegen „Desinformation“.
Schon lange vor den #TwitterFiles und sicherlich, bevor ich einem Aufruf von Racket folgte, die freiberufliche Mitarbeiter suchten, um zu helfen, „die Mainstream-Propagandamaschine auszuschalten“, hatte ich meine Bedenken über die Instrumentalisierung des „Kampfs gegen Desinformation” als Zensur-Instrument geäußert. Für Teammitglieder von EngageMedia in Myanmar, Indonesien, Indien oder den Philippinen war der neue Konsens der westlichen Eliten, den Regierungen mehr Macht zu geben, darüber zu entscheiden, was online gesagt werden durfte, das genaue Gegenteil der Arbeit, die wir leisteten.
[Lesen Sie dazu auch den Artikel Die Twitter-Files und der Censorship Industrial Complex]
Nachdem ich Zugang zu den Aufzeichnungen der #TwitterFiles erhalten hatte, erfuhr ich, dass das „Ökosystem“ viel größer war und weit mehr Einfluss hatte, als ich mir vorgestellt hatte. Bis jetzt haben wir fast 400 Organisationen weltweit zusammengetragen, und wir fangen gerade erst an. Einige Organisationen sind legitim. Es gibt Desinformation. Aber es gibt auch viele Wölfe im Schafspelz.
Ich habe auch unterschätzt, wie viel Geld unter dem Deckmantel der Anti-Desinformation in Thinktanks, den universitären Bereich und NGOs fließt, sowohl von Regierungen als auch von privaten Stiftungen. Wir sind immer noch dabei, dies zu berechnen, aber ich schätzte es auf Hunderte Millionen Dollar jährlich und ich bin wahrscheinlich immer noch naiv – Peraton erhielt einen Vertrag über eine Milliarde Dollar vom Pentagon.
ÜBER PERATON
Peraton ist ein nationales Sicherheitsunternehmen, das Missionen von großer Tragweite rund um den Globus und bis in die entlegensten Winkel der Galaxie durchführt. Als weltweit führender Integrator von Missionsfähigkeiten und transformativer Anbieter von Unternehmens-IT liefern wir vertrauenswürdige, hochdifferenzierte Lösungen und Technologien, die unsere Nation und Verbündete vor Bedrohungen im digitalen und physischen Bereich schützen. Peraton unterstützt alle Zweige der US-Streitkräfte und ist ein geschätzter Partner für wichtige Regierungsbehörden, die unseren Lebensstil aufrechterhalten. Jeden Tag tun unsere Mitarbeiter das, was nicht getan werden kann, indem sie die größten Herausforderungen für unsere Kunden lösen. Besuchen Sie peraton und erfahren Sie, wie wir Ihren Seelenfrieden sichern.
Besonders war ich mir nicht über den Umfang und das Ausmaß der Arbeit von Gruppen wie dem Atlantic Council, dem Aspen Institute, dem Center for European Policy Analysis und Beratungsunternehmen wie Public Good Projects, Newsguard, Graphika, der Media Forensics Hub an der Clemson Universität und anderen bewusst.
Noch alarmierender war, wie viel militärische und geheimdienstliche Finanzierung involviert ist, wie eng verbunden die Gruppen untereinander sind und wie stark sie sich in die Zivilgesellschaft einmischen. Graphika erhielt zum Beispiel einen Drei-Millionen-Dollar-Zuschuss vom Verteidigungsministerium sowie Gelder von der US-Marine und -Luftwaffe. Der Atlantic Council (berüchtigt für sein Digital Forensics Lab) erhält Mittel von der US-Armee und den Marines, von den Firmen Blackstone, Raytheon, Lockheed und dem NATO STRATCOM Center of Excellence und anderen.
Ich habe auch unterschätzt, wie offen viele Organisationen sich für die Überwachung von Narrativen aussprachen, die manchmal sehr offensichtlich vom Kampf gegen Desinformation in den Bereich der Überwachung von abweichender Meinung abdriftete. Das Virality Project der Stanford University empfahl, dass Twitter „wahre Geschichten über Impfnebenwirkungen” als „Standard-Fehlinformation auf Ihrer Plattform“ klassifiziert, während das Algorithmic Transparency Institute von „zivilem Mithören” und „automatisierter Datensammlung” aus „geschlossenen Messaging-Apps” sprach, um „problematische Inhalte” zu bekämpfen, d.h. von der Ausspionierung einfacher Bürger. In einigen Fällen war das Problem schon im Namen der NGO selbst erkennbar – das Automated Controversy Monitoring beispielsweise betreibt „Toxicity Monitoring” (Schädlichkeitskontrolle) zur Bekämpfung von „unerwünschten Inhalten, die Sie stören”. Es geht nicht mehr um Wahrheit oder Unwahrheit, es geht nur noch um die narrative Kontrolle.
Regierungen und philanthropische Oligarchen haben die Zivilgesellschaft kolonialisiert und werben jetzt für Zensur, wobei sie Denkfabriken, die akademische Welt und NGOs als Handlanger nutzen. Wenn man das den Kollegen sagt, schließen sich jedoch die Reihen, um ihre Regierungs-, Militär-, Geheimdienst-, Big-Tech- und Milliardärs-Gönner zu schützen. Das Feld wurde gekauft. Es ist kompromittiert. Das anzuprangern ist nicht willkommen. Wenn Sie das tun, werden sie sehr schnell aussortiert.
Die Twitter Files zeigen auch, wie sehr die NGO- und Akademikerwelt in die inneren Kreise der Big-Tech-Elite aufgenommen wurde, die ihr die neuen Werte der Unterdrückung freier Meinungsäußerung aufdrückten. Das erklärt zum Teil ihre Feindseligkeit gegenüber Elon Musk, der sie aus dem „Club“ warf, ohne von all den „ungebildeten Rechten” zu sprechen, die er zurück auf die Plattform ließ. (Musks Intervention ist zwar eine Verbesserung, aber offensichtlich inkonsistent und bringt ihre eigenen Probleme mit sich).
Obwohl Mitglieder der saudischen Königsfamilie große Anteile an Twitter halten, sowohl des alten Twitter als auch des neuen Twitter, hatten NGOs und die akademische Welt vor Musk kaum etwas zu den Eigentümern der Firma zu sagen.
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