Waren, Werte und Gestalt
Waren, Werte und Gestalt

Waren, Werte und Gestalt

Waren, Werte und GestaltDer Konsumgütermarkt überschwemmt uns mit neuen Produkten. Doch was braucht der Kunde? Der Orientteppich hat rapide an Wert verloren, 99-Cent-Läden entwerten die Fußgängerzonen. Die Ex-Todsünde Geiz, nahe bei der Habsucht angesiedelt, wird medial geadelt, das Schwein als Intelligenzbolzen aufgewertet. Nichts ist, wie es scheint.

 
„Alles hat seinen Preis,“ war die angestammte Meinung vieler älterer Menschen noch vor fünfzig Jahren. Ein Persianer oder ein Perserteppich galten als wertvoll, weil sie teuer waren. Eine Flugreise nach Asien oder einen Mercedes konnten nur ganz wenige Menschen bezahlen. Um sich etwas leisten zu können, ein Eigenheim vielleicht, wurde verzichtet, gespart, gearbeitet und viel Zeit investiert; denn irgendwie war die Zukunft planbar, kaum jemand dachte darüber nach.

Ein halbes Jahrhundert später sieht alles anders aus: statistisch gesehen haben sich die Konsumausgaben privater Haushalte seit 1970 versiebenfacht, während der Konsument unserer Tage „alles, aber günstig“ haben möchte. Handgenähte „Budapester“ Schuhe für 45 Euro werden auf dem Grabbeltisch verramscht, nachdem ihre Herstellung die Gesundheit zahlreicher Arbeiter in China ruiniert hat.
Nichts ist, wie es scheint. Heute mehr denn je, denn unsere Postmoderne ist eine Zeit der Parallelität und des Paradoxons. Die wirtschaftliche Globalisierung hat viele Auswirkungen, unter anderen die Entstehung immer komplexerer Patchworkstrukturen in Gesellschaft, Ökonomie und Gestaltung. Die Milieus, die sich um die bürgerliche Mitte gruppieren, werden diffuser, die Grenzen fließender. Die Unternehmen kommen unter Druck, denn sie müssen wissen, was morgen gefragt ist. Also fragen sie die Trendforscher, doch die geben so viele Antworten, wie man hören oder nicht hören möchte. Während Trend-Guru Matthias Horx den Neuen Moralismus und die Happyologie prophezeit, liegen laut Michael Schipperges von Sinus-Sociovision Pragmatismus und Bodenständigkeit voll im Trend.

Wie auch immer sich das Spiel entwickeln mag, die {josquote}Warenwelt braucht Impulse{/josquote} aus der kreativen Ecke. Die kamen einstmals beispielsweise vom Deutschen Werkbund, der in diesem Jahr seinen hundertsten Geburtstag feiert. Die Vereinigung, gegründet von Architekten, Künstlern, Unternehmern und Politikern, hatte sich bei ihrer Gründung die „Veredelung der gewerblichen Arbeit“ zum Ziel gesetzt. Dadurch sollte die Konkurrenzfähigkeit deutscher Wertarbeit auf dem Weltmarkt gestärkt werden. Nach 1945 galt als erweitertes Ziel, „Sinn und Gestalt des Daseins im heutigen Deutschland zu erkennen, zu wollen und zu bilden“. Der erzieherische Impetus war besonders einflussreich in der Zeit der „Guten Form“, als der Begriff „Design“ schrittweise in die Warenwelt Einzug hielt. Was in den fünfziger Jahren noch Randerscheinung und gleichzeitig Gestaltungsbewegung mit Objektivitätsanspruch war, entwickelte sich in den folgenden Jahrzehnten zur unverzichtbaren Entwicklungsstrategie. Heute ist Design  aus der Produktentwicklung nicht mehr wegzudenken, ihm wird heute sogar revolutionäres Potenzial zugeschrieben. So meint der Philosoph Peter Sloterdijk auf die Frage eines Spiegel-Journalisten, warum Jugendrevolten heute in Deutschland nicht mehr möglich seien, die Designer seien heute schneller als ihr jugendliches Publikum. Sie fingen jede Regung eines alternativen Begehrens sofort auf. Im Grunde seien die Designer heute Berufsrevolutionäre.
Eine bemerkenswerte These, über die sich trefflich streiten ließe, genauso wie über die alte Frage der Designdefinition. Doch die Frage unserer Zeit richtet sich nicht auf Analysen von Designtheorien, sondern auf die Beziehung des Menschen zu einer explosionsartig wachsenden Warenwelt. Was erwarten wir von einem gigantischen Produktangebot, das immer schöner, funktionaler, kleiner, größer, umfangreicher, komplexer, billiger, teurer, umweltbelastender und ökologischer wird? Mit dem Berg der Produkte wachsen der Wahlzwang, der Informationszwang, die Kontingenz und die Neurosen der Konsumenten. Das alles geht so schnell, dass unsere Steinzeitprogrammierung nicht Schritt halten kann.

Unsere Erwartungen sind entsprechend atavistisch, wir streben nach Glück. Standen dem früher die Überwindung der Entbehrungen im Weg, müssen wir uns heute einer tatsächlichen oder relativen Überfülle der Güter erwehren. So kämpfen die einzelnen Waren durch ihr Glücksversprechen um unsere Gunst. Sie verheißen uns Glück, indem sie uns Schönheit, Gesundheit und Erfolg versprechen. Mercedes bewirbt seine Autos mit Wellness-Wochen, mit dem Kauf von Bier spenden wir für den Regenwald und der Gewinn bei der Aktion Mensch stärkt unsere Sozialmoral. Das Glück, eine Ware nur zu besitzen, weil andere sie nicht haben, wird in der Masse flüchtig. Die Suche gilt neuen, dauerhaften Werten, die auch unsere immerwährende Sinnsuche erfüllen.

„Sobald Sinn thematisiert wird, ist er ein Phänomen des Mangels“, meint nun der  Philosoph und Medientheoretiker Norbert Bolz. Damit sind wir wieder bei den Entbehrungen, nicht beim Überfluss. Ist es demnach überhaupt sinnvoll, in der Warenwelt nach Sinn zu suchen? „Wenn es unserer Kultur überhaupt an etwas fehlt, dann nicht an Pädagogik, sondern an Design. … {josquote}Design verschafft und ist selbst Orientierung{/josquote}. Deshalb hat das Design niemals ein Sinnproblem, sondern ist seine Lösung. …,“ sagt Bolz weiter. Wie das, wo wir doch allenthalben in designten Gegenständen ersticken?
Es muss wohl an der Glücksdefinition liegen. Matthias Horx hat für seinen Trend-Report 2007 das Unwort Happyologie erfunden. Er verkauft uns ein Gemisch aus Philosophieschulen von Hedonismus über Epikureismus bis Utilitarismus als Basis für ein modernes Suchen nach Glück, das nach einer Überwindung der „Kultur der Angst“ in ein positives emotionales Empfinden mündet. So heißt die Devise „Glück in allen Lebensbereichen“, von Management über Gesundheitswesen und Medien bis hin zur Werbung.

Das klingt eingängig. Leider gibt es aber auch Wissenschaftler wie den Hirnforscher Manfred Spitzer, die dem entgegenhalten: „Unser Gehirn ist nicht für das dauernde Erleben von Glück gebaut. Die Evolution hat es vielmehr mit einem ausgeklügelten Modul versehen, das uns Menschen nach Glück streben lässt“. Der Zustand des Glücks, meist hervorgerufen durch die Ausschüttung von Endorphinen, Dopaminen und anderen Hormonen währt kurz. Es ist also  das immerwährende Streben nach diesem Moment, das uns antreibt, ein dauerhafter Prozess, was wiederum zeigt, dass ohne Dynamik gar nichts geht.

Wenn aber Design Sinn gibt, Glück keinen Warenwert hat und wir dadurch einen neuen Mangel erleben: welche Werte verursachen dann in der Warenwelt Sinn? Wie müssen Produkte und Leistungen beschaffen sein, dass wir ein neues Begehren nach ihnen entwickeln? Nun, der Trendforscher Horx nennt es den Neuen Moralismus, in der Wirtschaft spricht man mehr und mehr von Verantwortung und auf Konsumentenseite formiert sich die LOHAS-Bewegung. Dieses Kunstwort benennt den Lifestyle of health and sustainability, also einen Lebensstil, der sich an Gesundheit und Nachhaltigkeit ausrichtet. Kurz gesagt sind das Menschen, die nicht nur in allen Bereichen einen bewussten Umgang mit der Umwelt pflegen, sondern vor allem Genuss mit Ökologie verbinden und bereit sind, für handwerklich und ökologisch hochwertige Produkte mehr zu bezahlen.

Wie aber kommen diese {josquote}Werte ins Produkt{/josquote}, oder – anders gefragt – wie kann der Konsument erkennen, dass dem Produkt diese Eigenschaften mit gegeben wurden? Nun, das alles spielt sich auf verschiedenen Ebenen ab und braucht eine spezielle Codierung, die der Wahrnehmung der Menschen entspricht. Wesentlich ist, dass zunächst aus dem „Kunden“ oder „Konsumenten“ ein ernst zu nehmender Partner wird. Ein Partner, der nicht übers Ohr gehauen wird, ein Partner, den man nicht betrügt. Diesem Partner bietet man ein Produkt an, das ihm seine positiven Eigenschaften offenbart. Das Unternehmen informiert ihn beispielsweise über den Herstellungsort, die Ökobilanzen und die Reinheit der Materialien. Wenn diese Fakten positiv sind und sich mit einem entsprechenden Design paaren, bekommt der Mensch Sicherheit. Er wird den chemisch geschälten Flusskrebs aus einem vergifteten chinesischen Fluss künftig im Kühlregal liegen lassen. Er wird viele der Billigprodukte aus Fernost nicht mehr anrühren, wenn er erfährt, unter welch erbärmlichen Bedingungen Menschen sie dort herstellen müssen. Die Schwierigkeit, so zu handeln, besteht in der Notwendigkeit der Entscheidung. Wer gewohnt ist, „alles, aber günstig“ zu erwerben, muss sich künftig für das „weniger, aber wertigere“ entscheiden. Das bedeutet Eingrenzung und Ausschluss. Anders gesagt: wer Warenwerte sucht, muss sich bewusst entscheiden! Und um sich entscheiden zu können, braucht es kulturelle Voraussetzungen wie das Wissen um Zusammenhänge und die Kenntnis gestalterischer Codes. Die Orientierung in einem unüberschaubar gewordenen Markt wird für den Verbraucher jedoch immer schwieriger. Die nachstehenden beiden Beispiele aus dem Bereich der Accessoires und Haushaltswaren mögen das erläutern.

I. Der Haushalt war zu allen Zeiten ein Spiegelbild des zeitgenössischen Stils. Kein Wunder also, dass heute besonders die Hersteller von Haushaltswaren, kleinen Einrichtungsgegenständen und Geschenken ganz besonders auf Design setzen. Auch Designignoranten kennen mittlerweile eine Marke wie Alessi, die sich vor allem in der hohen Zeit der Postmoderne in den achtziger Jahren mit ausgefallenen Haushaltswaren in Designs von Sottsass, Mendini und Graves in unserem Bewusstsein verankerte. In dieser Zeit war Alessi eine Art Wegbereiter für „italienisches Design“, mutig, vielseitig, klassisch und innovativ. Das Unternehmen vertreibt seine Produkte heute weltweit in drei Submarken über lokale Händler und punktuell über eigene Flagshipstores. Alessi fühlt sich als „Kunst-Mediator“ zwischen der internationalen Kreativität des Produktdesigns und des Marktes. Allerdings werden nur noch wenige Produkte, wie die kalt gepressten Metallwaren, in Italien hergestellt. Der Großteil kommt von Herstellern aus diversen Ländern (Ost-) Europas und aus China. Chef Alberto Alessi sieht die Zukunft seiner Marke im Bereich „super und populär“, also ein Design für eine breite Käuferschicht, ohne direkt die Ikea-Zielgruppe anzupeilen.

II. Viele Kunden wünscht sich auch ein deutsches Unternehmen, das in Teilbereichen seines Angebots ähnliche Zielgruppen hat und ebenfalls wie Alessi in den zwanziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts gegründet wurde. Der Mittelständler Koziol aus Erbach im Odenwald fertigt hauptsächlich Kunststoffprodukte für Haushalt, Büro und Inneneinrichtung. Koziol hat zwar seinen Ursprung in der Elfenbeinschnitzerei, sich aber bald den Kunststoffen verschrieben und nahm immer die Impulse zeitgenössischen Designs auf. Das Unternehmen mit nahezu 200 Beschäftigten hat eine ungeheure Fertigungstiefe, vom Design bis zum Werkzeugbau, von der Kunststoffverarbeitung bis zur Druckerei findet sich alles unter einem Dach. Siebzig Prozent der Waren gehen in den Export. Mit einer einzigartigen Markenstrategie versucht Koziol, die Nutzer seiner Produkte „zu einem etwas lächelnderen, entspannteren, freudvolleren und intelligenteren Menschen zu machen“. So steht es in der „Brand Mission“, und wer sich die vielen kleineren oder größeren Produkte anschaut, erkennt, dass emotionales Design hier unter dem Claim „ideas for friends“ zu einer sympatischen Ansprache herangewachsen ist.

Beide Unternehmensbeispiele stehen für sich, Firmen-, Marken- und Designwerte sollen hier nicht bewertet werden. Doch wenn der Partner im Markt, früher Kunde genannt, neue Werte von und mit den Produkten einfordert, die über die außergewöhnliche Designleistung hinausgehen, beginnt die Unterscheidung. Es gibt keinen Mangel an außergewöhnlichen Designern, wohl aber einen Mangel an Identifikation mit dem Partner. Hier genügt nicht mehr die Suche nach einer originellen Form, nach einer neuen Funktion und der Verwendung innovativer Materialien: der Mensch will sich, getrieben von Unsicherheit und Orientierungslosigkeit, wieder finden in Produkten, die Nähe schaffen, die emotionalen Bezug zulassen. Außerdem sucht er auch bei Konsumgütern den „Bio-Aspekt“, will sagen, auch diese Waren sollen frei von sozialen und ökologischen Belastungen sein. Hier punktet das Unternehmen aus dem Odenwald ganz entscheidend, weil die Konzentration aller Produktionsaktivitäten auf einen Standort in Verbindung mit höchsten Umwelt- und Sozialauflagen einen Gesamtwert ergibt, der kaum zu übertreffen ist.

Bleibt letztlich die Frage, wie der Käufer, dieses überforderte Wesen, solche Zusammenhänge überhaupt noch durchschauen kann. Der Wettbewerb ist gnadenlos. Die Asiaten kopieren, was das Zeug hält. Kaum jemand an den Messeständen redet über Werte, allenfalls über Design und wie die Marketingmanager mit den Designern möglichst viel und schnell umsetzen können. Über Preise wird sehr viel gesprochen. Es gilt immer noch, dass alles seinen Preis hat, doch diese Diskussion kennt nur eine Richtung: billig, billig, billig. Der amerikanische Soziologe Richard Sennett sieht dagegen in der Zukunft die Notwendigkeit der Abkehr von einer Lebensweise, die immer oberflächlicher wird. Für ihn ist die Wiederbelebung einer handwerklichen Einstellung, nach der Menschen im weitesten Sinne die Dinge um ihrer selbst willen gut erledigen, für die Zukunft unerlässlich. Denn die Menschen müssten wieder an den objektiven Wert ihres Tuns glauben! Wenn dann die Dinge ihren Preis haben, gewinnt auch das Individuum wieder an Orientierung; denn der Preis als Marker der Blödheit bekommt dann eine andere Bedeutung. Seine Höhe wird sich wieder am Wert bemessen und billig wird nichts anderes sein, als was es immer war: wertlos!
 

Autor:
W. Otto Geberzahn, Dipl.-Ing.
Freier Architekt, Freier Journalist, Publizist, Berater
Kurz-Vita: Jahrgang 1947, Arbeit als Architekt, Unternehmer, Marketingmanager, Chefredakteur (Office Design, design report), Kreativer, Blattmacher. Zahlreiche Publikationen.
Mehr unter: www.wog-consulting.de
 

About

Nachhaltigkeit + die Entdeckung Trojanischer Pferde…

Populäre Projektionen dessen, wie eine Bewusstseinsveränderung aussehen wird, sind in den meisten Fällen nur eine Neugestaltung der „alten Denkschablonen „. Eine größere, bessere Box, in der das Paradigma aufgewertet wird, das die Bedingungen verbessert, unter denen wir unsere Sucht auf eine „grüne“ Art und Weise genießen können.

So wichtig wie das ökologische Bewusstsein ist, es ist nicht genug. Das neue Paradigma kann nicht aus der intellektuellen Abstraktion einer dualistischen Interpretation einer „besseren Welt“ verwirklicht werden, die auf der Infrastruktur der existierenden Varianten-Matrix aufbaut, die dieses Paradigma erzeugt.

Gut zu wissen
Informationen zu akutellen Themen