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Foto von Paula Prekopova

Wirtschaften für das Leben

Wir stehen im internationalen Wettbewerb. Wohin das Rennen geht, sagt keiner. Es scheint ein Wegrennen zu sein – eine Flucht also. Aber wovor denn? dem Untergang! Wer in der Konkurrenz nicht vorn ist, muß untergehen, erklärt man uns. Und weil die Krisensymptome immer rascher auf uns zukommen, scheint auch klar: Das Rennen muß schneller werden! „Wir brauchen mehr Wettbewerb!“ heißt es deshalb ständig. Rührt sich irgendwo in Politik und Wirtschaft Widerstand gegen solche Absurditäten? Peter Kafka

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Wohin rennen wir eigentlich?
Wirtschaften für das Leben – Gegen den Verlust und Ausverkauf von
immer mehr Lebensbereichen an den totalen Markt.

Anlaß: Die neue Liberalisierungsrunde der WTO
Erweiterte nachträgliche Schriftfassung einer Ansprache von Peter Kafka beim
„Politischen Samstagsgebet“ in der Erlöserkirche München Schwabing am 13. November 1999

1. Teil
Wir stehen im internationalen Wettbewerb. Die Einpeitscher erinnern uns täglich daran – durch alle ihre Medien. Wohin das Rennen geht,  sagt keiner. Es scheint ein Wegrennen zu sein – eine Flucht also. Aber wovor denn? Na klar: Vor dem Untergang! Das Rennen muß schneller werden! „Wir brauchen mehr Wettbewerb!“ heißt es deshalb ständig. Wir wollen also nicht nur, daß andere untergehen – nein, wir wollen uns hierfür auch noch mehr anstrengen müssen!
Alle scheinen sie als unabwendbar hinzunehmen – wie man früher die altmodischeren Formen des Krieges hinnehmen mußte. Und wie immer finden sich gerade unter Professoren und Wirtschaftsredakteuren viele beflissene  Verteidiger des Systems – oft zusätzlich gut bezahlt von den Sponsoren des Rennens. Sie erklären, warum das alles so in Ordnung ist und gar nicht anders sein könnte. Dem vernünftigen Denken dagegen droht die endgültige Abschiebung. Es muß nun um Kirchenasyl bitten.
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Die Macht der Menschen ist die gewaltigste Naturgewalt geworden. Sogar die Natur selbst beginnt unter ihr zusammenzubrechen. Denken Sie an den drohenden Klimawandel durch unsere Energieverschwendung, an die Vergiftung von Gewässern und Böden durch Freisetzung von immer mehr lebensfremden Stoffen und gar neuen Organismen, die wahrscheinlich nicht mit der Biosphäre zusammenpassen – oder denken Sie daran, daß heute stündlich etwa zehn lebendige Arten aussterben, die zu ihrer Entstehung Millionen von Jahren brauchten. Bei all seinen Fähigkeiten scheint der Mensch buchstäblich verrückt geworden zu sein.
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Die böse oder dumme Macht ist nicht so sehr an Personen gebunden. Sie steckt bekanntlich in den Sachzwängen! Weder wir kleinen Verbraucher noch unsere Anführer in Politik und Wirtschaft haben die Macht, die Systemzwänge abzuschaffen. Wie ja auch nicht etwa Generäle den Krieg abschaffen könnten – selbst wenn sie das wollten.
Freilich führte man Kriege nicht um ihrer selbst willen. Es ging darum, sich fremde Lebensgrundlagen anzueignen – oder sich gegen die Eroberung durch andere zu verteidigen. Schon im Tierreich war die Konkurrenz um Lebensgrundlagen der eigentliche Antrieb des evolutionären Aufstiegs. Das lernt man doch heute sogar  in kirchlichen Schulen – wenigstens hierzulande.

Anfangs wurde auch beim Menschen die  Konkurrenz um Lebensgrundlagen meist mit blutiger Gewalt ausgefochten, aber mit seinen höheren Fähigkeiten entdeckte er bald, daß es effektiver ist, das sogenannte Recht dafür einzusetzen – speziell das Recht, sich die Lebensgrundlagen anderer Menschen oder gar die Menschen selbst anzueignen, um sich von ihnen bedienen zu lassen. Blutige Gewalt mußte dann nur noch gegenüber Völkern außerhalb des eigenen Rechtssystems geübt werden – oder in den seltenen Fällen, wo Sklaven nicht zugeben wollten, daß sie rechtmäßiges Eigentum ihrer Herren waren.
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Immerhin ging dann, vor über zweihundert Jahren, von Christen eine Bewegung mit dem Ziel aus, die Sklaverei für Unrecht zu erklären.  In England gelang das endgültig gerade hundert Jahre vor meiner Geburt. Und das machte  nicht einmal große Schwierigkeiten, denn man hatte ein raffinierteres Rechtssystem gefunden, das weiterhin eine genügende Zahl von Dienern für die Herren garantierte, fast ganz ohne Peitsche. Logisch: Man muß doch nicht Menschen als Eigentum besitzen – igitt! Das Eigentum an ihren Lebensgrundlagen erfüllt denselben Zweck, und viel rationeller!
Das funktionierte zunächst auch gar nicht schlecht, abgesehen von Kleinigkeiten – wie etwa der Tatsache, daß viele Kinder in Kaminen oder Bergwerken herumkriechen mußten, um ein bißchen Essen zu kriegen. Der Wohlstand der meisten Menschen stieg doch beträchtlich an – zumal man viele der niedrigsten Dienste an den Rand der Welt delegieren konnte. Auch gab es ja zunächst noch viele persönliche Beziehungen zwischen Herren und Bedienern des Kapitals. Die Eigner lebten sogar meist in der Nähe ihres Eigentums, so daß sie selbst Interesse daran hatten, daß es schön war. Schauen Sie sich nur ältere Stadtbilder an!

Der bürgerliche Kapitalismus im kleinen Maßstab brachte doch viele durchaus lebensfreundliche Details hervor. Trotz der Kriege ging es letztlich aufwärts, und so leben heute in weiten Teilen der Erde große Bevölkerungsteile besser als ihre Großeltern – wenn man auch dasselbe für die Enkel kaum noch zu hoffen wagt. Wieviel leichter das Leben geworden ist! Als ich geboren wurde, rackerte sich noch über die Hälfte aller Deutschen für die Erzeugung der Nahrung ab – heute arbeiten noch etwa zwei Prozent in der Landwirtschaft – und Europäische Kommissare finden auch das noch zu viel. Klar: Wo so viel Kapital immer rationellere Produktionsmethoden fördert, da muß man nicht mehr viel arbeiten. Ärgerlich nur, daß dann mit immer weniger Arbeit immer mehr Kapital bedient werden muß – und immer mehr Arbeitslose mitversorgt werden sollen. Nicht wahr?

Das ist aber nicht etwa Folge einer kleinen Panne. Das kapitalistische Prinzip ist leider grundsätzlich instabil.
Die Vermögen sollen ja ständig wachsen und werden deshalb zweckmäßig in Lebensgrundlagen anderer Menschen  investiert. Wer lebt, muß dann durch seine Bedienung das Kapital wachsen  lassen. Und selbstverständlich  wird auch dieser Zuwachs möglichst wiederum in fremde Lebensgrundlagen investiert. So wachsen nicht nur die Vermögen exponentiell, sondern  auch die Abhängigkeit von ihnen. So mächtig sind nun die Investoren geworden, daß sie den Völkern der Welt sogar diktieren wollen, daß gesetzliche Regeln für den Schutz der Natur oder der Bürgerrechte nicht mehr erlassen werden dürfen, wenn sie den Profit von Investoren schmälern würden. Wenn sich ein kleines Geldvermögen in wenigen Jahren verdoppelt, so ist das harmlos. Bei einem großen aber wirkt das wie eine Explosion: Plötzlich stehen riesigen Vermögensansprüchen gar nicht mehr genügend wirkliche Werte gegenüber. Die können nämlich nicht so schnell wachsen. Zwar nennen Ökonomen das Sozialprodukt allen Ernstes „Wertschöpfung“, doch ist dieses mittlerweile eher ein Maß für zerstörerische Aktivitäten geworden als für die Schaffung lebensfähiger Werte.
Ein Ausweg war früher der Krieg: Wenn das Volk nicht rasch genug Werte schaffen kann, soll es gefälligst welche erobern! Anschließend ist freilich stets so viel kaputt, daß die meisten ganz von vorn beginnen müssen. Aber selbstverständlich wird dabei die Konkurrenz um Aneignung von Lebensgrundlagen fortgesetzt. Mit noch raffinierteren Techniken und Rechtssystemen wird das allgemeine Rennen wieder aufgenommen – auf größer gewordener Organisationsskala und mit noch schnellerer Innovation der Mittel.

Nun hatten wir hierzulande über 50 Jahre keinen Krieg
, und schon wegen der Atomwaffen ist auch kaum noch ein solcher vorstellbar. Der ständig aufgeblähte Ballon der Vermögen muß nun wohl auf andere Weise platzen. Aber wie?
Sollen wir auf den „großen Crash“ warten? Oder gibt es eine Chance, daß dieser in der politisch-wirtschaftlichen Realität vermieden wird, weil er zuvor gewissermaßen in den Köpfen stattfindet? Ist es vorstellbar, daß die Mehrheit über die Absurdität der Systemzwänge so weit aufgeklärt wird, daß die Rahmenbedingungen der Wirtschaft auf dem ganz normalen Wege politischer Mehrheitsentscheidung geändert werden? Ja – das ist vorstellbar, behaupte ich. Der Leidensdruck der Mehrheit wird ständig wachsen, und die Verbreitung neuer Ideen wird sich mit aller Medienmacht nicht ganz verhindern lassen. Schließlich muß sich ja bald der naivste Mitläufer fragen, woran es wohl liegt, daß wir uns trotz angeblich ununterbrochen wachsender Wertschöpfung nun gerade das Selbstverständlichste nicht mehr sollen leisten können: Vernünftige Versorgung und Erziehung von Kindern, Ausbildung von Jugendlichen, Bewahrung natürlicher Lebensgrundlagen, Versorgung von Kranken, Pflege der Alten … Überall heißt es: Wir müssen sparen! Es ist kein Geld da!
Da muß wohl bald die Frage laut werden: Ja – wo ist es denn eigentlich?

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Link Tipp: The Great Transition

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Nachhaltigkeit + die Entdeckung Trojanischer Pferde…

Populäre Projektionen dessen, wie eine Bewusstseinsveränderung aussehen wird, sind in den meisten Fällen nur eine Neugestaltung der „alten Denkschablonen „. Eine größere, bessere Box, in der das Paradigma aufgewertet wird, das die Bedingungen verbessert, unter denen wir unsere Sucht auf eine „grüne“ Art und Weise genießen können.

So wichtig wie das ökologische Bewusstsein ist, es ist nicht genug. Das neue Paradigma kann nicht aus der intellektuellen Abstraktion einer dualistischen Interpretation einer „besseren Welt“ verwirklicht werden, die auf der Infrastruktur der existierenden Varianten-Matrix aufbaut, die dieses Paradigma erzeugt.

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