7. Bildung, Wissen und Korruption
Denken wir zurück an die drei Stufen der Moralentwicklung, die auch in der modernen Medienwelt von Bedeutung sind. Besonders gilt dies, wenn Medien unter die Kontrolle von ethisch nicht sehr gut entfalteten Menschen geraten, die auf der präkonventionellen Ebene stecken geblieben sind. Diese werden mittels Korruption versuchen, die Durchsetzung und schon die Gestaltung von Gesetzen zu ihren Gunsten zu manipulieren. Die Moderne setzt dagegen die Demokratie, die über die Gewaltenteilung und das allgemeine Wahlrecht einen fairen Interessenausgleich und ein menschenwürdiges Leben für alle garantieren soll. Die Mächtigen sollen dabei durch eine freie Öffentlichkeit und freie Medien kontrolliert und davon abgehalten werden, für sich, ihre Familien und ihre Konzerne Vorteile auf Kosten der Menschenrechte anderer herauszuholen. Solche komplexen Zusammenhänge zu verstehen setzt bei der Bevölkerung aber angemessene Bildung, aktuelle Berichterstattung über relevante Vorgänge und politisches Interesse voraus.
In unseren heutigen Mediengesellschaften eröffnen sich den Reichen und Mächtigen leider auch immer wirksamere Möglichkeiten, die Öffentlichkeit in ihrem Sinne zu manipulieren. Dabei liegt es in ihrem Interesse, den Menschen Bildung weitestgehend vorzuenthalten, etwa durch Verkürzung von Schul- und Studienzeiten oder durch Propagierung von Bildungsverweigerung in ihren Medienproduktionen: In der mit professioneller Hochkomik produzierten, von einigen sogar für subversiv gehaltenen Zeichentrickserie Die Simpsons etwa findet Streberin Lisa keine Freunde, bleibt Umweltverbrecher Burns immer siegreicher Millionär.
Wenn die Bildung zur puren Berufsausbildung degradiert und das politische Interesse abgetötet ist, fällt auch kaum noch auf, dass aktuelle Berichterstattung über relevante Vorgänge langsam verschwindet. Medien liefern heute oft stereotype, einschläfernde Hofberichterstattung statt Kritik und Analyse. Vorurteile werden bedient und gepflegt, vorzugsweise, wenn sie den Machthabern schmeicheln und ihre Gegner herabsetzen. Ein Beispiel: Wenn einmal ein korrupter Politiker oder Industrieller erwischt wird, folgt meist eine stereotype Skandalisierung, die alles auf die Person schiebt und nicht nach Hintergründen und echter Abhilfe fragt. Am Ende stehen die üblichen Experten, die stereotyp höhere Strafen und mehr Polizeimittel fordern und vielleicht ein PR-Vertreter des Unternehmens, der Besserung durch Selbstverpflichtung auf einen neuen Ehrenkodex (Corporate Governance) gelobt. Stereotyp ist dabei auch die Auswahl der Experten: Die als NGO zur objektiven Instanz erklärten Gruppe Transparency International (TI) dominiert nahezu alle Medienberichte.
Selten oder gar nicht wird dabei erwähnt, dass TI von Bankern und Industriellen mit Geld der Industrie gegründet wurde, um Korruptionsbekämpfung industriefreundlich zu organisieren. Verschwiegen wird gern, dass der viel zitierte TI-Korruptionsindex schlicht eine Befragung von Industrievertretern und Geschäftsleuten darstellt, in welchen Ländern sie für ihre Geschäfte wie oft und wieviel Schmiergeld zahlen müssen. Für Industrielle ist dies sicher eine hochinteressante Fragestellung, die unter Leitung eines gewissen Professor Johann Graf Lambsdorff jährlich untersucht wird. Diese Sicht auf Korruption ermöglicht es unseren westlichen Machthabern, bei diesem Thema mit dem Finger zuerst auf Länder im Süden und Osten zu zeigen. Das ist bequem und bedient das Stereotyp von der Bananen-Republik. Fragen der korruptiven Wirtschaftskriminalität, die in Norden und Westen mehr Bedeutung haben, fallen dabei unter den Tisch: Schwarzgeldwäsche, Umwelt- und Ausbeutungsverbrechen (z.B. Kinderarbeit), Steueroasen und -hinterziehung, Privatisierungen, Lobbyismus.
Der von Menschenrechts- und Ökogruppen erkämpfte politische Einfluss von NGOs hat generell dazu geführt, dass die Wirtschaft diesen Sektor für ihre PR-Arbeit entdeckt hat, um ihre Medienmacht weiter auszubauen. Inzwischen existiert eine ganze Marketingindustrie, die das Installieren bzw. Vortäuschen von NGOs anbietet, welche die Lobbystrategien großer Konzerne unterstützen sollen. Bei erstaunlich vielen NGOs kommt inzwischen ans Licht, dass ihre Gründer aus den Marketingabteilungen großer Konzerne stammen, die just auf dem Feld ihr Geld verdienen, wo die NGO angeblich für Gemeinwohl und Bürgerinteressen arbeitet. Die NGO Center for Consumer Freedom beispielsweise agierte gegen Rauchverbote und erwies sich als finanziert von der Tabakindustrie, die 1992 vorgeblich zur Bekämpfung der Wegwerf-Kultur lancierten Waste Watchers wurden von einem Ex-Pressesprecher der Verpackungsmittel-Industrie initiiert, ein Verein zum angeblichen Schutz der Kinder vor Werbung wurde ausgerechnet von einem Manager des Kinder-Fernseh- (und Werbe-) Kanals Super-RTL gegründet. Diese Liste ließe sich fortsetzen und das Phänomen hat auch schon einen Namen: Astroturf, das englische Wort für Kunstrasen, ist eine neue PR-Masche, bei der Firmen über ihre im Garten verbuddelten Leichen mediales Gras wachsen lassen können mit fingierten NGOs. Die Mainstreammedien schlucken die mit Sekt und Lachshäppchen verabreichte PR-Propaganda und jubeln bei Aufdeckung der Zusammenhänge womöglich noch über das vermeintliche karitative Engagement der Unternehmen, die ja schließlich eine NGO finanziert haben. Deshalb kennt heute fast jeder Transparency International, aber kaum einer hat je von Astroturf-Marketing gehört.
Medien sollten eigentlich einer aufmerksamen Öffentlichkeit die politische Kontrolle der Mächtigen erlauben. Doch die Realität der Massenmedien ist heute meilenweit vom hochgehaltenen Ideal des unabhängigen, mutigen Journalisten entfernt. Die meisten Menschen mit Medienausbildung arbeiten inzwischen für Marketingabteilungen und PR-Agenturen. Die übrigen Journalisten stehen unter wachsendem politischen und ökonomischen Druck, ein gutes Werbeumfeld zu schaffen. Selbst bei den öffentlich-rechtlichen Medien herrscht Anpassungsdruck über die Einschaltquoten der privaten Konkurrenz. Für kritische Recherchen bleibt immer weniger Zeit und so greift man auf Presseerklärungen und Werbematerial von Regierungsstellen, Interessengruppen und Unternehmen zurück.
Vertreter der Medienindustrie bemerken dazu zuweilen zynisch, die Menschen hätten es ja nicht anders gewollt, schließlich stände es jedem frei, Nachrichten- und Bildungsprogramme statt Heile-Welt- oder Actionfilmen zu bevorzugen. Aber erstens haben auch kulturell anspruchsvolle Minderheiten ihre Rechte, zweitens funktioniert langfristig die Demokratie nicht ohne Informations- und Bildungsmedien und drittens müssen wir an Kinder und Jugendliche denken, denen wir in anderen Bereichen schließlich auch einen Schonraum für die Entwicklung moralischer Einstellungen schaffen. Ob die derzeitigen Jugendschutzgesetze hier ausreichen, darf bezweifelt werden, da sie nur Sex- und Gewaltdarstellungen regeln und auch dies nicht sehr effektiv.
Ethisches Verhalten heißt in diesem Umfeld zunächst einmal, sich nicht vom Infotainment vorzugsweise über die Skandälchen der Reichen und Schönen, aber auch über den Rest der Welt einlullen zu lassen. Solange es noch kritische Medien gibt, brauchen diese auch Abonnenten und es genügt nicht, sich im Internet die Information selbst zu suchen. Auch was kritische Blogger schreiben, basiert letztlich zumeist auf dem wenigen guten Journalismus, der noch nicht von den großen Konzernen überrollt wurde. Wer sich selbst zum Bloggen berufen fühlt (heute eine verschwindende Minderheit der Netznutzer), kann selbstverständlich eine wichtige Aufgabe in der Medienwelt übernehmen, wird aber bald feststellen, wie hart der Kampf um Aufmerksamkeit ist. Nur sehr wenige können sich ein Publikum schaffen und nur selten kann aus der Blogosphäre etwas in die breiten Massenmedien gelangen. Umgekehrt stehen alle Blogger unter dem Bilderregen der Medienindustrie und sind ihren Einflüssen ausgesetzt. Dabei geht es meist um ökonomische Interessen, die jedoch auch in Angriffe auf die Menschenrechte ausufern können, wenn etwa in Medienkampagnen gezielt gegen Arme, Alte und Kranke gehetzt wird.