Wie lassen sich Umweltfreundlichkeit und Nachhaltigkeit im Umgang mit Essbarem mit Mehrerträgen im Wirtschaftsalltag kombinieren? Ein praktisches Reformkonzept für den Einzelhandel. Die Begriffe „Lebensmittel“ und „Verschwendung“ stellen häufig ein gravierendes Binom dar, das von Medien, Politik und Wirtschaft gerne aufgegriffen wird.
(Dr.) Edoardo Beretta
Wie so oft fehlt es aber an strukturierten Empfehlungen für den täglichen (häuslichen sowie betrieblichen) Umgang, um best practices nicht nur bekanntzumachen, sondern auch ein standardisiertes Umsetzungsmuster zu liefern: es scheint also überfällig, von der (obgleich fragmentarischen) Datensammlung in Sachen Lebensmittelverschwendung zur aktiven Reduzierung dieses weltweiten Problems überzugehen. Im Folgenden wird daher ein mögliches Reformkonzept eingeleitet, das auf der erfolgreich umgesetzten Einfall einer bayrischen Bäckereikette fußt, ihn zu erweitern versucht, um ihn auch in anderen Wirtschaftsbereichen umzusetzen. Dessen Grundprinzipien lassen sich jedenfalls folgendermaßen zusammenfassen:
- Der Tagesschlussverkauf: wie erwähnt basiert dieser Unternehmensansatz auf dem Konzept eines bajuwarischen Brotherstellers, der in der letzten Verkaufsstunde tagfrische Brot- und Backwaren um 30% günstiger als die (bis dann geltenden) Tagespreise anbietet. Eine solche Vorgehensweise ist jedenfalls auch für andere Sektoren – etwa Fisch-, Fleischgeschäfte, Delikatessen- oder Milchproduktläden – vorstellbar: sie hängt lediglich vom guten Willen ab. Denn eine solche Betriebspraxis birgt auch Vorteile, die von einem umweltfreundliche(re)n Image zu weniger Müllproduzierung, von (potenziell) geringeren Abfallsteuern zu weniger Aufwand bei der Entsorgung entstandener Müllmengen hinreichen. Auch die Kundschaft würde davon profitieren und müsste nicht unbedingt nur kurz vor Ladenschluss ins Geschäft strömen: schließlich lässt sich Kundentreue schwer zeitlich einschränken. Um folgende Idealrelation zu erzielen:
Abfallproduzierung ⇒ Nachhaltigkeit ⇒ Abfallsteuern benötigter Aufwand bei der Abfallentsorgung
⇒ Kundenzufriedenheit ⇒ Unternehmenserträge
- ist es allerdings notwendig, dass nur verfügbare (und ansonsten bei Nichtverkauf bis Tagesende verderbliche) Lebensmittel preisreduziert verkauft werden würden. Um Missverständnissen vorzubeugen, wäre beispielsweise auch die Kennzeichnung betroffener Regale oder Theken mit einem Etikett (z. B. „T“ für „Tagesschlussverkauf“) denkbar. Das häufigste Argument gegen Preissenkungen bei verderblichen Nahrungsmitteln kurz vor Ladenschluss lautet nämlich meistens, dass Kunden nur dann das Geschäft besuchen oder lediglich rabattierte Waren erwerben würden und folgende Preispolitik Konfliktpotenzial sowie Stresssituationen für Kundschaft und Belegschaft schaffen könnte. Dieser Kritik lässt sich dennoch entgegnen, dass, wenn eine solche Preisvorkehrung regelmäßig (z. B. tagtäglich oder jedenfalls an festen, wiederkehrenden Wochentagen) getroffen werden und nur bis zum Aufbrauchen der übrig gebliebenen und (falls unverkauft) zu entsorgenden Warenmengen gelten würde, kein dauerhafter Ansturm bei Tagesschlussverkauf zu erwarten wäre: der Andrang wäre sicherlich größer als früher – man will schließlich Lebensmittel vor deren Verschwendung bewahren –, aber nicht umöglich, weil die Kundschaft letztendlich wissen würde, dass es keine einmalige Aktion wäre. Um potenziellen Andrang noch mehr zu verringern, wäre zudem davon abzuraten, verschiedene Rabattsätze (z. B. von 20 % und 30 %) je nach nahendem Ladenschluss anzuwenden: ein solcher Preisansatz könnte tatsächlich den Kaufrausch schüren und die beruhigende Wirkung der Rabattregelmäßigkeit neutralisieren. Wieder einmal ist viel Einfühlvermögen gefragt;
- Das (veraltete) Prinzip stets voller Regale: es ist kein Geheimnis, dass das Auge der Kundschaft positiv auf prall gefüllte Regale und Theken reagiert. Ob eine solche Verhaltensweise aber nachhaltig ist, ist allerdings – vor allem bei tagfrischen Produkten – fraglich. Es wäre hingegen empfehlenswerter, sich für die entschiedene Verbannung dieses Prinzips aus kollektivem Denken, Marketingbüchern und Medien auszusprechen. Um dieser weiteren Herausforderung mit psychologischem Taktgefühl gerecht zu werden, könnte allerdings schon die bessere Ausrechnung der aufzubereitenden Lebensmittelmengen ausreichen, aber selbst die hübsche Abdeckung bzw. Schmückung freigewordener Regal- oder Thekenräume wäre durchaus denkbar, um kurz vor Ladenschluss nicht mehr ganzheitlich volle Regale geschickt zu kaschieren;
- Die Notwendigkeit eines Allround-Managements: um weniger Lebensmittel zu verschwenden, ist jedenfalls auch eine weniger starre betriebliche Alltagsplanung erforderlich. Insgesamt bedarf es also eines flexiblen Ansatzes, der nicht nur gewinnorientiert, sondern auch ein aufmerksames Auge für ökologische und soziale Themen haben sollte, die wiederum für bessere Unternehmensreputation (und dementsprechend Wirtschaftsergebnisse) stehen.
Das Thema „Lebensmittelverschwendung“ steht natürlich auch in direktem Zusammenhang zur allgemeinen Wertschätzung für Nahrung: Schulungsprogramme, Fortbildungen und Workshops sind aber nur ein erster Schritt in die richtige Richtung, können dennoch nicht davon hinwegtäuschen, dass eine zunehmend strukturelle Angehensweise erforderlich ist. Der obige Plan sieht sich daher als bescheidener Versuch, gerade diese Systematik bei der Bekämpfung von Lebensmittelverschwendung in einigen Wirtschaftssektoren zu konsolidieren: insbesondere in jenen Ländern der Welt, in denen Lebensmittelgeschäfte für tagfrische Produkte sogar spezifische Abteilungen vorsehen und entsprechend große Mengen an Nahrung zubereiten, ließe sich ein solcher Denkansatz auch industriell umsetzen. Letztendlich würde es sich dabei um eine effektive Lösung handeln, die Relation aus Beschaffungs-, Verarbeitung- und Entsorgungskosten durch zusätzliche Erträge aus preisnormalen sowie -reduzierten Verkäufen zu kompensieren (und nebenbei etwas Gutes für die Umwelt zu tun):
Dass die Aussicht auf potenzielle Kostensenkungen und Ertragssteigerungen schon genügend Gründe für ein solches betriebliches Handeln liefern sollte, sollte dennoch nicht davon abhalten, weitere Anreize (z. B. Steuervergünstigungen, die Vergabe von Ratings usw.) zu erwägen, um das Kompositum „Lebensmittelverschwendung“ endlich wieder auseinanderzubringen.
Lebensmittelverluste und -verschwendung (pro Person und Jahr) |
||||
|
Verbraucherebene |
Produktions- und Einzelhandelsebene |
Gesamtwert (in Kg.) |
Gesamtwert (in %) |
Europa |
90 |
190 |
280 |
18,18 |
Nordamerika und Ozeanien |
110 |
185 |
295 |
19,16 |
Industrialisiertes Asien |
80 |
160 |
240 |
15,58 |
Subsahara-Afrika |
5 |
155 |
160 |
10,39 |
Nordafrika, West- und Zentralasien |
35 |
180 |
215 |
13,96 |
Süd- und Südostasien |
15 |
110 |
125 |
8,12 |
Lateinamerika |
25 |
200 |
225 |
14,61 |
Gesamtwert (in Kg.) |
360 |
1.180 |
1.540 |
– |
Gesamtwert (in %) |
23,38 |
76,62 |
– |
– |
Quelle: eigene Bearbeitung aus Global food losses and food waste – Extent, causes and prevention (2011) der FAO1
Es hat sich nämlich schon lange herauskristallisiert, dass Verbraucher schon zur Vermeidung von Lebensmittelverschwendung beitragen können, aber ihr Anteil am Problem ist mit 23,38 % im Vergleich zu anderen Abschnitten der Nahrungsmittelkette (76,62 %) wesentlich geringer. Das hier erläuterte Prinzip des Tagesschlussverkaufs kann jedenfalls nicht nur zu nachhaltigerem Wirtschaften führen, sondern sogar hilfreich für die Ausgrabung weiterer Ertragsquellen werden. Die Ökonomie der Zukunft kann sich nicht mehr (oder zumindest ausschließlich) auf forciertes Wachstum stützen, da wirtschaftliche Einkünfte zunehmend aus der Minimierung von Verschwendung hervorzugehen haben werden. Das Erfolgspotenzial ist vorhanden – es bleibt uns allein überlassen, es im praktischen Alltag auch strukturell anzustreben.