woman's face
Foto von Markus Spiske

Die neue Macht der Moralisten

Es war vor ein paar Jahren, als bekannt wurde, dass Madonna eine Naturkosmetikmarke aus der schwäbischen Provinz namens Dr.Hauschka benutzt. Plötzlich hob die Marke ab. Dabei hatten die anthroposophischen Apotheker aus Eckwälden seit 40 Jahren an ihrer Rezeptur und der streng nachhaltigen Unternehmensführung absolut nichts geändert. Alles nur wegen Madonna?

Beim genaueren Hinsehen erwies sich, dass die Popikone und auch Hollywoodstars wie Julia Roberts Vertreterinnen eines neuen Konsumstils sind, der ungefähr 1998 unter dem Begriff LOHAS (Lifestyle of Health and Sustainability) erstmals aus den USA herüberschwappte. Seither mehrt sich offenbar überall auf der Welt die Zahl der Menschen, die auf den Konsumglamour von Marken, Mode und Lifestyle nicht verzichten wollen, gleichzeitig aber viel Wert auf Qualität, Ethik und Nachhaltigkeit der Produkte legen.

W&V-Galerie: Die Ober-LOHAS

Der Megatrend im Überblick
Einstellung Anhänger des Lifestyle of Health and Sustainability (LOHAS) verbinden Markenbewusstsein mit ökologisch-ethischem Bewusstsein. Sie sind in allen soziodemografischen Gruppen zu finden.
Entdecker Der US-Soziologe Paul H. Ray spürte die „kulturell Kreativen“ Mitte der 90er Jahre auf – sie machen etwa ein Drittel der US-Bürger aus.
MarktDas Natural Marketing Institute schätzt das Marktvolumen in den USA auf 209 Milliarden Dollar pro Jahr, davon mehr als die Hälfte bei Ernährung und Gesundheitsprodukten.

Mit dem kernseifigen Purismus einstiger Ökofundamentalisten haben die­se Neo-Grünen soviel gemeinsam wie eine kratzige Wollsocke mit einem Seidenstrumpf. „Hedonismus und verantwortungsvoller Konsum schließen sich nicht mehr aus“, sagt Birgit Czinkota, Projektleiterin LOHAS bei den Marktforschern von AC Nielsen. Derzeit lohast es, wohin man auch schaut. Die Neo-Grünen haben kein unbescheideneres Ziel, als der alten Konsumwelt den Garaus zu machen. „Ich kaufe ein, also bestimme ich“, heißt das Credo der moralischen Hedonisten. Sie wollen ihre Macht als Konsumenten strategisch einsetzen, um die Konzerne zu verantwortungsvoller Produktion und nachhaltigem, umweltverträglichen Wirtschaften zu zwingen. „Shopping wird die Welt verbessern“, heißt programmatisch das Buch des LOHAS-Autors Fred Grimm.

Das zentrale Medium der neuen Ökobewegung ist das Netz. Die Web-2.0-Grünen haben sich auf Portalen wie Utopia.de, Lohas.de, newethics.com, changex.de bestens vernetzt. Einer dieser Ökos 2.0 ist Christoph Harrach, früher Internetspezialist bei Hess-Naturtextilien. Er betreibt den Blog karmakonsum.de und hat im vergangenen Jahr den Karmakonsum-Kongress ins Leben gerufen, der Ende Mai zum zweiten Mal stattfindet. Medienunternehmen wie Burda sind mit IVYworld.de und einer entsprechenden Zeitschrift auf den Zug aufgesprungen und auch Gruner+Jahr liebäugelt mit einem eigenen Titel.

Die Unternehmensberatung McKinsey wies Unternehmen erstmals vor zwei Jahren auf die Chance und Risiken dieser Konsumbewegung hin. Boston Consulting prognostiziert, bis 2020 werde der nachhaltige Markt mehr Leute ernähren als die Automobilindustrie. „Greentech wird größer als das Internet“, proklamiert John Doerr, der Google an die Börse brachte und als einflussreichster Venture-kapitalgeber der Welt gilt. Das Zukunftsinstitut meint gar, schon 2015 würden die LOHAS die Konsummärkte weltweit dominieren.

Wird es also eine „Moralisierung der Märkte“ geben, wie Kulturwissenschaftler und Soziologe Nico Stehr behauptet? Wie weit wird sie gehen? Oder ist das, was unter dem Marketingbegriff LOHAS läuft, einfach nur eine neue Zielgruppe, die man mit ein paar passenden Produkten bedient, während man ansonsten weitermacht wie bisher?

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Nachhaltigkeit + die Entdeckung Trojanischer Pferde…

Populäre Projektionen dessen, wie eine Bewusstseinsveränderung aussehen wird, sind in den meisten Fällen nur eine Neugestaltung der „alten Denkschablonen „. Eine größere, bessere Box, in der das Paradigma aufgewertet wird, das die Bedingungen verbessert, unter denen wir unsere Sucht auf eine „grüne“ Art und Weise genießen können.

So wichtig wie das ökologische Bewusstsein ist, es ist nicht genug. Das neue Paradigma kann nicht aus der intellektuellen Abstraktion einer dualistischen Interpretation einer „besseren Welt“ verwirklicht werden, die auf der Infrastruktur der existierenden Varianten-Matrix aufbaut, die dieses Paradigma erzeugt.

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