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Foto von Alex Lion

Stress als Zeitphänomen

Stress und Entspannung im 21. Jahrhundert. Vielleicht gab es nie zuvor eine Zeit, mit Ausnahme von Kriegszeiten, in der die Menschen in den Industrienationen so vielfältigen Belastungen ausgesetzt waren wie heute. Nicht nur, dass die Zeit immer schnelllebiger wird, es scheint auch so, dass die Forderungen, Ansprüche und Belastungen und damit der Druck auf jeden einzelnen immer größer werden. Dazu kommt noch eine allgemeine Verunsicherung. Ganz viele soziale Rahmenbedingungen, die wir seit langem als gesichert vorausgesetzt haben, scheinen nun plötzlich in Frage gestellt zu sein.

Es ist wie eine Spirale, die sich unaufhaltsam nach unten dreht. Müsste man die Epoche, in der wir heute leben, unter der Voraussetzung, wir könnten eine gewisse objektive Distanz herstellen, mit einigen charakteristischen Merkmalen beschreiben, so würde mit Sicherheit das Phänomen, das wir heute allgemein mit dem Begriff „Stress“ bezeichnen, ganz oben stehenObwohl jeder dem Wort „Stress“ eine Bedeutung zuordnen kann, lohnt es sich zu fragen, woher der Begriff eigentlich ursprünglich kommt und was er überhaupt im Wortsinn bedeutet. Vor 50 Jahren kannten allenfalls Physiker diesen Begriff, und sie meinten damit „mechanische Spannung“. Bis der Zoologe Hans Seyle, ein in Montreal forschender gebürtiger Wiener, der Anpassungsreaktion des Körpers auf alles, was das innere Gleichgewicht oder die „Homöostase“ stört, wie Angst, Kampf, Isolation, Scham, extreme Hitze oder Kälte etc., den Namen Stress gab. Von da an trat dieses Wort seinen Siegeszug durch fast alle Sprachen der Welt an. So heißt es im Lexikon: „Stress ist die Bezeichnung für eine spezifische, durch äußere Reize („Stressoren“) hervorgerufene psychische und physische Körperreaktion von Tieren und Menschen, die zur Bewältigung besonders gesteigerter Anforderungen befähigt.“Schon durch diese Definition wird klar, dass Stress eigentlich ein Notprogramm des Körpers aktivieren sollte, um auf Ausnahmesituationen reagieren zu können. Der Zustand von Dauerstress, bei dem der Körper über einen länger anhaltenden Zeitraum in einer hochaktiven Phase ist, auf die keine ausreichenden Ruhephasen mehr folgen, um das System wieder ins Gleichgewicht zu bringen, ist in dieser Definition eigentlich gar nicht gemeint.Dieser krankmachende Dauerstress ist in unseren modernen Industriegesellschaften inzwischen fast normal geworden. Es beginnt bereits sehr früh. Schon den Schulkindern wird im Winterhalbjahr abverlangt, zu einer Zeit aufzustehen, wenn es draußen noch dunkel ist und Körper und Seele und die damit verbundenen biologischen Rhythmen noch vollständig auf Ruhe und Schlaf programmiert sind. Nicht erst seit Prof. Zulleys Bestseller „Vom gesunden Schlaf “ wissen wir, dass solche Eingriffe in unseren circadianen (wörtlich: „ungefähr ein Tag“) Rhythmus nicht ohne Störungen des körperlichen und seelischen Gleichgewichtes bleiben können. Hier liegt eine der verborgenen Ursachen, warum es in unseren Schulen zu immer mehr Aggressionen und gewalttätigen Übergriffen kommt.
Und es geht weiter mit überzogenem Leistungsdruck in der Schule, bei dem die jungen Menschen oft genug mit totem Faktenwissen überfrachtet werden, anstatt ihre Freude am Lernen zu wecken und sie auf die Herausforderungen des Lebens vorzubereiten. Damit wird oft früh eine Entfremdung zu den natürlichen Bedürfnissen und Seelenprogrammen und in der Folge oft ein unterschwelliges Gefühl des „nicht Genügens, so wie ich bin“ verursacht. Dahinter steht das Konzept, wenn man den gesellschaftlich vorgegebenen Normen und Leistungsstandards nicht entsprechen könne, sei man im Leben gescheitert. Diese Einstellung zeigt sich auch in der verräterischen Frage. „Weißt du schon, was du werden willst“, so, als sei man solange ein „Nichts“, bis man einen Geldberuf ausübt.

Leben gegen die innere Uhr

Auf die Dauer ist es aber unmöglich, die Veranlagungen unserer menschlichen Natur zu übergehen, ohne seelischen und körperlichen Schaden zu leiden.
Unsere Vitalität und Leistungsbereitschaft folgt einer inneren Uhr, die zu verschiedenen Tageszeiten Hochs und Tiefs verzeichnet. So ist es mittlerweile wissenschaftlich nachgewiesen, dass der Mensch z.B. um 10 Uhr morgens und ca. 20 Uhr abends ein energetisches Hoch hat, während um ca. 14 Uhr ein Tief eintritt, das die meisten selbst aus eigener Erfahrung kennen. In dieser Zeit sinkt die Leistungskurve stark ab, die Fehler häufen sich und das Konzentrations-vermögen ist auf dem Tiefststand. Einer NASA-Studie zufolge verbessert sich nach einer Schlafdauer von nur 20 bis 30 Minuten, in Zeiten der energetischen Tiefs, die Reaktionsgeschwindigkeit des Körpers um 16 Prozent und die Leistungsfähigkeit um 35 Prozent. Der amerikanische Stressforscher und Psychotherapeut Ernest L. Rossi weist darauf hin, dass die 20-Minuten-Pause auch auf das Immunsystem erhebliche Auswirkungen hat. Wir sind weniger oft erkältet, haben vielfach weniger Probleme mit Magen und Darm und sind auch widerstandsfähiger gegen andere Krankheiten. In den südlichen Ländern gibt es dafür die Tradition der Siesta, und in einigen asiatischen Ländern wird den Mitarbeitern zu diesen Zeiten das wohlverdiente und erfrischende Mittagsschläfchen offiziell zugestanden. Bei uns ist das öffentlich gezeigte Schlafbedürfnis etwas, für das man sich fast schämen muss, während es beispielsweise in Japan keinen Gesichtsverlust bedeutet, wenn man bei einem  Meeting oder Vortrag auch einmal wegdöst.
So haben auch die Chinesen bereits vor Tausenden von Jahren die medizinische Uhr entdeckt, eine detaillierte Kenntnis darüber, wann jedes Körperorgan und jede Funktion im Körper ihre jeweiligen Hochs und Tiefs erreichen. Menschen, die synchron zu dieser eingebauten inneren Uhr leben und arbeiten, sind gesünder, glücklicher und leben länger.
Die Störung des Wach-Schlaf-Rhythmus hat neben den körperlichen Folgen, bei dem das für die Vitalität so wichtige Melatonin-Serotonin-Gleichgewicht und der Stoffwechsel gestört werden, auch negative Wirkungen auf die Psyche.
Wir wissen heute aus der Schlafforschung, dass die Traumpassagen besonders am Morgen wichtig sind für den „seelischen Stoffwechsel“. Bei abruptem Wecken, z. B. durch das schrille Rasseln eines Weckers, können die Träume nicht mehr ausreichend durchlebt werden, um ihre Funktion zu erfüllen, seelische Inhalte zu verarbeiten. Die Folge davon sind Reizbarkeit und schlechte Laune bis hin zu depressiver Stimmung. Das gezielte und wiederholte Aufwecken in Traumphasen ist eine inzwischen weltweit praktizierte „sanfte“ (!) Foltermethode, mit der man Menschen in den Wahnsinn treiben kann.
Solche massiven Eingriffe in unser seelisches und körperliches Gleichgewicht führen auf die Dauer zu einer Desensibilisierung unseres Empfindens für einen gesunden Ausgleich zwischen Bewegung und Ruhe, Arbeit und Erholung, Anspannung und Entspannung. Hier werden die Grundlagen gelegt, dass der Mensch nicht mehr in der Lage ist, die Warnsignale der Seele und des Körpers wahrzunehmen.

Die kranke Gesellschaft

Dieser chronische Mangel an Innerlichkeit ist folgenschwer und beeinflusst buchstäblich die Qualität des Lebens auf allen Ebenen.
„Moderne Menschen haben oft schlecht synchronisierte innere Rhythmen und schlafen im Durchschnitt etwa eine Stunde weniger als vor 20 Jahren“, sagt Anna Wirtz-Justice, eine der führenden Chronobiologinen ( Chronobiologie: die Wissenschaft von der Anpassung der Organismen an Jahreszeiten, Mondphasen, Tiden oder Tage ) und Pionierin in der Behandlung von Winterdepressionen mit hellem, weißem Licht. „Vielleicht sind viele unserer sogenannten zivilisatorischen Krankheiten langfristige Folgen eines Lebens gegen die innere Uhr.“ Tageslicht ist der entscheidende Zeitgeber des Menschen. Schon die Zusammensetzung des allgegenwärtigen künstlichen Lichtes, das oft nur noch 10% des Sonnenspektrums und nur 1/100 der Helligkeit eines Sonnentages ( ! ) besitzt, führt zu vorzeitiger Ermüdung und unterschwelligen Stressreaktionen des Körpers.
Gerade derart gestörte Erholungsprozesse bereiten Wissenschaftlern Sorge. „Je mehr Stress wir haben, desto mehr Zeit bräuchten wir, um zu verschnaufen“, erklärt der schwedische Schlafexperte Göran Kecklund. Sonst werden Lernprozesse gestört, das Immunsystem regeneriert sich langsamer, die Energiereserven werden nicht ausreichend aufgeladen. Es gibt offensichtlich einen genetischen Rhythmus aus 90 Minuten Aktivität und 20 Minuten Pause, der inzwischen auch wissenschaftlich nachgewiesen werden konnte. Und was wir alle wissen, ist, dass ein Tag 24 Stunden hat und sich 24 durch drei teilen lässt: nämlich 8 Stunden Arbeit, 8 Stunden Freizeit und 8 Stunden Schlaf. Das ist das Angebot von Mutter Natur, damit wir ein gesundes, langes Leben im natürlichen Takt des Lebens führen können. Es gibt ganz neue Studien, die nachweisen, dass Menschen, die weniger als sieben und mehr als neun Stunden pro Tag schlafen, eine kürzere Lebenserwartung haben.
Selbst in Firmen und Betrieben, in denen Leistungs- und Leidensbereitschaft der Mitarbeiter sich oft in einer wöchentlichen Arbeitszeit von bis zu 70 Stunden und mehr niederschlagen, beginnen nun die Verantwortlichen gegenüber einer solchen Praxis Skepsis an den Tag zu legen. Es hat sich nämlich durch Statistiken nachweisen lassen, dass solche Mitarbeiter auf die Dauer ihren Firmen mehr schaden als nützen, weil der dauergestresste Körper irgendwann mit Herzinfarkten oder Schlaganfällen zurückschlägt und dadurch die betrieblichen Fehlzeiten spürbar in die Höhe treibt. Selbst wenn die Folgen nicht immer so dramatisch und folgenschwer sind, ist ein Mensch im Dauerstress weniger leistungsfähig als ein ausgeglichener. Eines der jüngeren Phänomene ist die Ausbreitung des so genannten „Burn-Out-Syndroms“, auch eine neue Wortschöpfung, um die Folgen von exzessivem Stress auszudrücken. Damit wird ein Zustand beschrieben, der von emotionaler Erschöpfung, Depersonalisierung, verminderter Leistungsfähigkeit, Krankheitsanfälligkeit, Konzentrationsstörungen und Überreiztheit gekennzeichnet ist. Chronisch erhöhte Cortisolwerte verhindern, dass das innere Gleichgewicht nach einer Anstrengung wieder auf Normalbetrieb zurückschaltet. Der Daueralarm schwächt das Immunsystem im Kampf gegen vorhandene Krankheiten und in der Abwehr neuer Infektionen. Der Energiehaushalt kann nachhaltig leiden und begünstigt bestimmte Formen von Übergewicht und Diabetes. Ein Anstieg von Blutdruck und Blutfettwerten fördert die Arterienverkalkung und erhöht das Risiko für Durchblutungsstörungen und Herz-Kreislauf-Störungen. Inzwischen gibt es immer mehr, hauptsächlich Privatkliniken, die sich auf das Phänomen, „Burn-Out-Syndrom spezialisiert haben, und die Nachfrage ist groß.
Diese alarmierenden Entwicklungen schlagen sich auch in einigen Statistiken nieder. Die Krankheitstage auf Grund psychischer Erkrankungen haben seit 1997 um fast 70 Prozent zugenommen! Nach Berechnungen des Münchner Max-Planck-Institutes für Psychiatrie leiden inzwischen acht Millionen erwachsene Deutsche an behandlungsbedürftigen Ängsten, Depressionen oder ähnlichen Störungen, die mit seelischer Not verbunden sind. Die Deutschen kaufen im Jahr über 20 Millionen Packungen depressionshemmender Medikamente, die Zahl der einschlägigen Pillenverordnungen hat sich in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt. 12 000 Menschen pro Jahr begehen in Deutschland Selbstmord, das ist mehr als das Doppelte als im Straßenverkehr!
Rund 500.000 Menschen erleiden hierzulande pro Jahr einen Herzinfarkt, knapp 800 Menschen pro Tag sterben daran.
Bei fast 70 Prozent aller Krankheiten ist Stress eine der Ursachen. Folgekrankheiten sind unter anderem Magengeschwüre, Depressionen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder psychosomatische Beschwerden. Nach einer Erhebung der „National Sleep Foundation“ arbeiten heute 40 Prozent der Erwachsenen mehr und schlafen weniger als noch vor fünf Jahren. Trotz aller verzweifelten Bemühungen, die Kosten im Gesundheitswesen einzudämmen, wurden im Jahre 2005 ca. 20 Prozent (!) mehr für Arzneimittel ausgegeben als im Jahr davor. 50 Prozent der über Fünfzigjährigen sind bereits chronisch krank.
Die Kosten für Krankschreibungen aufgrund stressbedingter psychischer Störungen werden allein in Deutschland auf 2,5 Milliarden Euro jährlich beziffert!
Das europäische Parlament und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklärten Stress zur größten Gesundheitsgefahr des 21. Jahrhunderts.

Die wahren Ursachen von Stress

Wir sehen also, dass das Phänomen Stress viel tiefere Ursachen hat als eine einfache „Überanstrengung“. Deshalb wirken die üblichen Mittel der Stressbehandlung, die heute in Kursen oder Büchern angeboten werden, in der Regel nur unzulänglich, weil sie nicht wirklich die Wurzeln des Problems erfassen. Viele Unternehmen versuchen mittlerweile, ihre Mitarbeiter zu fördern, indem sie zu Verhaltensänderungen aufrufen: mehr Sport, weniger Rauchen, gesünder essen etc.. Für Manager zahlen viele Betriebe inzwischen auch Check-Ups, um so zumindest bei teuren und weniger entbehrlichen Arbeitskräften Gesundheitsrisiken früh zu erkennen. Massagen und Anti-Stress-Seminare sollen außerdem helfen, mit Druck besser fertig zu werden. Als aber der Psychologe Lawrence Murphy vom amerikanischen „National Institute for Occupational Safety“ 1996 alle verfügbaren Studien über den ökonomischen Erfolg von solchen Stressbewältigungshilfen auswertete, musste er feststellen:
„Keine Form von Stressmanagement hat die Produktivität, die Anzahl von Krankschreibungen oder die Arbeitszufriedenheit nachhaltig verbessert.“ Er folgerte, dass man Unternehmensstrukturen brauche, die den Selbstrespekt, das soziale Klima und die Identifikation mit der eigenen Arbeit fördern. Immer noch ist es die Regel, dass der arbeitende Mensch in erster Linie als Mittel zum Zweck betrachtet wird, um eine hohe Produktivität zu erreichen, und nicht als schöpferisches, vernunftbegabtes Wesen, für den Arbeit eine Möglichkeit zum persönlichen Selbstausdruck ist. Es ist nachgewiesen, dass bereits eine nicht selbst bestimmte, entfremdete Arbeit massive Stressreaktionen auslöst.

Was ist Gesundheit?

Es ist erstaunlich, dass keine geringere Instanz als die Weltgesundheits-organisation WHO psychosoziale Gesundheit vorausschauend als „stabiles Selbstwertgefühl, ein positives Verhältnis zum eigenen Körper, Freundschaft und soziale Beziehungen, eine intakte Umwelt, sinnvolle Arbeit, gesunde Arbeitsbedingungen, ein ausreichendes Gesundheitswissen und vor allem den Zugang zur Gesundheitsversorgung, sowie lebenswerte Gegenwart und begründete Hoffnung auf eine lebenswerte Zukunft“ definiert. Wie kann nun diese Idee ihre Verwirklichung in unserem alltäglichen Leben finden?
Dazu ist nicht mehr und nicht weniger als eine Kultur der Gelassenheit mit ganz neuen Modellen und Angeboten für eine geistige und seelische Gesundheit notwendig. Diese Modelle müssen sich an der Grundnatur des Menschen orientieren, die jenseits aller kulturellen und gesellschaftlichen Unterschiede gleich ist.

Ein Leben im Einklang mit der Natur
Trotz aller zivilisatorischen Errungenschaften sollten wir nicht vergessen, dass auch wir Menschen ein Teil der Natur sind und immer sein werden. Noch unsere unmittelbaren Vorfahren vor ein paar hundert Jahren verbrachten ihre Arbeitszeit zu 90 Prozent unter freiem Himmel als Handwerker, Bauern oder Hirten. Abends, wenn die Sonne unterging, zog man sich in die Stille der eigenen vier Wände oder eines ruhigen Plätzchens in der Natur zurück. Hier waren Arbeit und Freizeit, Wachen und Schlafen noch den natürlichen Rhythmen angepasst. Im Winter schliefen diese Menschen bis zu 11 Stunden im Sommer oft nur 4 oder 5. Es ist noch gar nicht so lange her, da machten Wissenschaftler die Entdeckung, dass es tatsächlich im Körper ein Organ gibt, was diesen inneren Rhythmus steuert, nämlich die Epiphyse oder Zirbeldrüse, hinter der Stirn zwischen den Augenbrauen gelegen. Sie ist unsere Verbindung zum Herzschlag der Natur, der sich in den Tag-Nacht-Rhythmen, den Mondphasen und dem Wechsel der Jahreszeiten ausdrückt. Missachten wir diese Rhythmen als Taktgeber für unsere Lebenszyklen, so fallen wir buchstäblich aus dem inneren Gleichgewicht.
Wir wissen heute, dass ca. 90 Prozent aller Krankheiten, mittelbar oder unmittelbar auf eine ungesunde Lebensweise und schädliche Umwelteinflüsse zurückzuführen sind.
Statt also ein Leben im Gegensatz zu unserer innersten Natur zu führen, können wir wieder dahin kommen, im Einklang mit ihr zu leben. Dabei geht der Lohn für eine solche Einstellung noch weit über den rein gesundheitlichen Bereich hinaus. Wenn wir unsere Prioritäten auf diese Weise wieder richtig stellen, dann sehen wir plötzlich, dass vieles leichter geht, dass uns die Dinge im Leben entgegenkommen, dass wir dem täglichen Lebenskampf und Konkurrenzkampf enthoben werden.

Wellness ist kein Modetrend

Der Begriff „Wellness“, wie wir ihn heute verstehen, und damit auch die Wellness-Idee wurde vom US-amerikanischen Arzt Halbert Dunn im Jahre 1959 geprägt. Dunn schrieb erstmals über einen speziellen Zustand von hohem menschlichen Wohlbefinden, welches den Menschen als Dreiklang aus Körper, Seele und Geist sowie abhängig von einer intakten Umwelt, versteht. Diesen Zustand großer persönlicher Zufriedenheit nannte er „high-level-wellness“. Wir verstehen unter Wellness in Anlehnung an Ardell (1977, 1986) heute einen Gesundheitszustand der Harmonie von Körper, Geist und Seele. Wesensbestimmende Elemente sind körperliche Fitness, gesunde Ernährung, Entspannung, geistige Aktivität, sowie Umweltsensibilität und Empathie.
Hinzu kommt noch die zentrale Bedeutung des Lebensstils, die Selbstverantwortung für die Gesundheit sowie die Ausschöpfung von Potentialen zu größerer Selbstverwirklichung und kreativem Selbstausdruck.
Die Wellnesswelle hat seit Mitte der Neunziger Jahre stark zugenommen und ist nun ein „Multiselling Markt“ geworden, der fast alle Bevölkerungsschichten erfasst hat, mit bedeutenden Zuwachsraten in jedem Jahr. Wellness ist in aller Munde! Die Entwicklung des Wellness-Marktes in Zahlen: 1991 43 Milliarden, 1999 bereits 69,5 Milliarden und für 2010 werden 115 Milliarden vorausgesagt.
Man kann davon ausgehen, dass dieser Trend seinen Höhepunkt noch nicht erreicht hat. Es scheint als ob die dahinter stehende Idee, wie vage sie auch immer wahrgenommen wird, einen zentralen Nerv des Menschen des 21. Jahrhunderts getroffen hätte. Dies ruft sofort wieder, wie bei allen hoffnungsvollen gesellschaftlichen Bewegungen, den negativen Gegenpol auf den Plan. Gemäß den ungeschriebenen Gesetzen kapitalistischer Marktwirtschaft bekommt jedes menschliche Bedürfnis, das man materiell nutzen zu können glaubt, sofort Warencharakter, für dessen Befriedigung eine ganze Palette an Lösungen angeboten wird. So gehört es heute durchaus zur Normalität, wenn auf einer Zigarettenwerbung ein meditierender Mönch zu sehen ist.
Aber wahres Wellness hat nichts mit den vielen Produkten zu tun, die heute mithilfe dieses Etiketts besser verkauft werden sollen.
Heute versteht man den Begriff Wellness nicht mehr einfach nur als inneres Wohlgefühl, sondern als eine Erscheinungsform, die man oft automatisch mit einem gewissen Lebensstil in Verbindung bringt. Im allgemeinen geht man davon aus, dass Wellness außerhalb der eigenen Wohnung stattfinden muss und dass man sich in eine dafür vorgesehene Einrichtung zu begeben hat, um sich hier die verschiedensten, oft exotischen, Behandlungen angedeihen zu lassen. Entsprechend wurden die Wellnessbereiche in den Hotels, zum Teil auch in den Fitnessclubs, in den letzten Jahren qualitativ und quantitativ stark aufgerüstet.
Kaum eine Dienstleistungsbranche, die mit der körperlichen und seelischen Gesundheit zu tun hat, kommt heute noch ohne die Assoziation zu dem Begriff „Wellness“ aus.
Diese neuen Trends wie Fitness, Anti-Aging und Wellness sind weit mehr als vorübergehende Modeerscheinungen, auch wenn alle möglichen Lifestyle-Experten und Geschäftemacher sie versuchen zu ihrem Vorteil zu nutzen.
Wahres Wellness , das man vielleicht genauer als „Inner-Wellness“ bezeichnen könnte, ist ein Wohlgefühl, das aus einem Einklang von Körper und Seele und der richtigen Lebenshaltung entsteht, die wechselseitig in Beziehung stehen.

Paradigmenwechsel in der Gesundheitsfrage

Auch in unserem Gesundheitswesen scheint sich langsam die Einstellung durchzusetzen, dass mehr Wert auf die Prävention gelegt werden sollte als auf die Behandlung von Krankheiten. Sicher nicht nur aus altruistischen Gründen. Denn kranke Menschen sind teuer für das Gemeinwesen.
Im Verborgenen wächst eine gegensätzliche Entwicklung, die einen neuen
Paradigmenwechsel ankündigt. Die bewussteren unter den Bürgern begreifen langsam, dass sie die Verantwortung für die Qualität ihres Lebens und den Zustand ihrer Gesundheit nicht mehr dem Staat oder dem Arbeitgeber überlassen können. Jeder einzelne muss wieder entscheiden, wie viel ihm ein menschenwürdiger Arbeitsplatz und die eigene Gesundheit Wert ist. Das Polaritätsgesetz des Lebens sucht immer wieder nach Ausgleich, und so gibt es auch bereits Lösungen für die Mängel der Zeit. Der Soziologe und Wirtschaftswissenschaftler Kontratieff, dessen Erkenntnisse über die epochalen Entwicklungen inzwischen zum Standardwissen eines jeden modernen Managers und Coaches gehören, hat die nächste Epoche, auf die wir uns zubewegen, als das Zeitalter der psychosozialen Gesundheit bezeichnet, das in seiner Bedeutung das jetzt noch maßgebende Zeitalter der Informationstechnologie ablösen werde. Und so gibt es seit Anfang der Neunziger Jahre einen wahren Gesundheitsboom und die Angebote im Internet zum Thema Gesundheit sind heute bereits die zweithäufigsten nach den Erotik-Seiten. Dass gerade die Erotikangebote an oberster Stelle stehen, spricht wiederum Bände über den Mangel an „Inner-Wellness“ in unserer Zeit, den der moderne Mensch in seiner seelischen Verarmung mit Ersatzbefriedigungen zu betäuben sucht.

Das Wellness- und Gesundheitszentrum der Zukunft

Für das Bedürfnis nach ganzheitlicher Gesundheit, Selbstfindung und Entspannung wird in naher Zukunft eine ganz neue Art von Entspannungszentren entstehen. Diese werden im Gegensatz zu den Wellnessanlagen, die zur Zeit hauptsächlich in Hotels auf dem Lande vorherrschen, überwiegend in den Metropolen und Städten entstehen. Hier ist der Stress am größten und der Ruf nach Problemlösungen am zwingendsten. Diese Zentren sollten ähnlich wie die amerikanischen Edel-Yoga-Zentren ein ansprechendes Ambiente haben und von der Fläche her großzügig ausgestattet sein. In Farbe, Formen und Einrichtung sollte die Räume natürlich und angenehm sein, das heißt, schon durch das Ambiente sollte man das Gefühl bekommen, dass der ganze Mensch angesprochen und ihm Interesse und Fürsorge entgegengebracht wird. Eine solche Haltung und Absicht schlägt sich im Atmosphärischen nieder, vergleichbar dem, wenn ein Essen nicht nur „technisch richtig“ sondern mit Liebe gekocht wird.
Ein solches Zentrum sollte darüber hinaus ein Vortrags- und Seminarprogramm haben zu Themen wie Ernährung, Religion, Philosophie und Meditation usw. Vorteilhaft wäre eine Mischung aus fest angestellten Referenten oder Partnern und hochkarätigen, internationalen Gastreferenten, mit denen man durch öffentliche Veranstaltungen immer wieder in den Medien auf das Zentrum aufmerksam machen kann. Außerdem sollten manuelle Therapien und Entspannungsräume, Konzerte und Lesungen zum Angebot gehören. Die Entspannungsangebote sollen dem Wellnessgast helfen, erst einmal zu erleben wie wunderbar sich Tiefenentspannung anfühlen kann. Dieser Zugang muss einfach sein, wie beispielsweise bei einer „Prana-Licht-Oase“. Der Wellnessgast muss dabei selbst nichts mehr machen, sondern wird von alleine in eine tiefe Entspannung geführt. Das funktioniert so einfach, weil unser inneres Entspannungsprogramm, das in jedem von uns bereits vorhanden ist, in Gang gesetzt wird. Damit kann man das Interesse und die Begeisterung beim Anwender wecken und ihn motivieren den Weg zu einer besseren Lebensqualität weiterzugehen. Am Anfang sollten immer das positive Gefühl und die Erfahrung stehen. Von der Praxis zur Theorie ist besser als umgekehrt.
Etwas in dieser Art gibt es bis jetzt im deutschsprachigen Raum nicht. Alle vergleichbaren Angebote sind entweder rein kommerziell oder nur auf der körperlichen Ebene gesundheitsorientiert, ohne die seelisch-geistigen Bedürfnisse zu berücksichtigen. Manche sind sektenhaft oder an eine bestimmte spirituelle Schule gebunden und bieten nur ein spezifisches Segment an, wie Meditation oder Yoga. Ein integratives offenes Zentrum ohne weltanschauliche Bindung wäre aber erst das, was heute Not tut. Der suchende Mensch will ernsthafte Angebot, die unserer abendländischen Tradition entsprechen oder mit ihr vereinbar sind. Er will persönlich angesprochen werden und sich als ganzer Mensch gemeint fühlen. Er will Anschluss und Austausch mit Gleichgesinnten, und er will Anregungen für seine Suche bekommen, aber dann frei entscheiden, wohin es ihn zieht.
Einem solchen ganzheitlichen Wellness- und Gesundheitszentrum wird mit Sicherheit, wenn es mit Herz und praktischem Sachverstand geführt wird, auch ein schöner wirtschaftlicher Erfolg beschieden sein.

Maximilian Yehudi Schäfer
Meditationslehrer und Entspannungscoach
maxi-lite@gmx.de

 

Stress als Zeitphänomen
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Nachhaltigkeit + die Entdeckung Trojanischer Pferde…

Populäre Projektionen dessen, wie eine Bewusstseinsveränderung aussehen wird, sind in den meisten Fällen nur eine Neugestaltung der „alten Denkschablonen „. Eine größere, bessere Box, in der das Paradigma aufgewertet wird, das die Bedingungen verbessert, unter denen wir unsere Sucht auf eine „grüne“ Art und Weise genießen können.

So wichtig wie das ökologische Bewusstsein ist, es ist nicht genug. Das neue Paradigma kann nicht aus der intellektuellen Abstraktion einer dualistischen Interpretation einer „besseren Welt“ verwirklicht werden, die auf der Infrastruktur der existierenden Varianten-Matrix aufbaut, die dieses Paradigma erzeugt.

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