Plädoyer für Selbstbestimmung

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danielsiebenCancun, Kopenhagen, Klima und Konsequenzen. Die Klimakonferenz in Kopenhagen vom Dezember 2009 versetzte die Welt in Aufruhr. Viele erhofften sich aus wirtschaftlichen Interessen keine wirksame Begrenzung des CO2-Ausstoßes, viele wiederum wünschten sich drastische Reduktionsbeschlüsse. Beiden ist gemeinsam, dass große Erwartungen an die Veranstaltung in Kopenhagen gerichtet wurden, als auch jetzt an die in Cancun/Mexiko.

Wirtschaftswachstum vs. Klimaschutz

Wirtschaftswachstum und Klimaschutz vertragen sich nicht besonders gut. Während die Weltwirtschaft fleißig gewachsen ist, sind auch die CO2-Emissionen weltweit deutlich gestiegen. Obwohl Deutschland sich das Image des Ökopioniers verpasst, sind die Pro-Kopf-Emissionen europaweit die höchsten. Klimaschutzziele zu beschließen ist daher eine Sache, sie aber auch wirksam umzusetzen, hätte einschneidende Konsequenzen für das Wachstumsdenken. Ich warne also vor allzu großen Hoffnungen, solange der Glauben an Wirtschaftswachstum ungebrochen ist. Dieser Glauben hat die bestehenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturen über die Zeit abhängig vom Wachstum gemacht. Eine politische Kursänderung  wird innerhalb der bestehenden Strukturen voraussichtlich nicht erfolgen; eine Wirtschaft und Gesellschaft ohne Wachstum erfordert einen elementaren Strukturwandel.

Die Konferenz wird ein Medienereignis sein, das sehr viel Aufmerksamkeit erhalten wird, sowohl von den Befürwortern als auch von den Gegnern der Klimaschutzziele.

Vielleicht werden ambitionierte Klimaschutzziele beschlossen, ja sogar auch konsequente Sanktionen bei Nichteinhaltung. Sie umzusetzen, ist jedoch nicht Sache der Politik. Dazu bedarf es einer Veränderung in Wirtschaft und Gesellschaft, der bewussten Abkehr vom Wirtschaftswachstum. Wir können noch so viel über Energieeinsparpotenziale und Energieeffizienz reden, die Erfahrung zeigt, dass mit steigendem Wachstum die Umweltbelastung ebenfalls zunimmt. In Bezug auf den Klimaschutz heißt das: Solange die CO2-Emissionen nicht abnehmen, darf die Wirtschaft auch nicht mehr wachsen.

Erst wenn die Emissionen auf ein klimaverträgliches Maß gesunken sind, kann die Wirtschaft in dem Maße wachsen, wie die Emissionen durch Einspar- und Effizienzmaßnahmen konstant bleiben. Bereits jetzt auf diesen vermeintlichen Problemlöser zu verweisen, bedeutet tatsächlich, das Problem nicht lösen zu wollen! Der ungebrochene Technik- und Fortschrittsglaube zeigt sich in diesem Denken. Dabei ist es die Technik, die uns erst in die Lage versetzt hat, unser Klima derart massiv zu schädigen. Hierbei neutral von Klimawandel zu sprechen, ist eine rhetorisch erfolgreiche Verharmlosung des Sachverhaltes. Die Wirkung des ressourcen- und emissionsintensiven Ausbeutungssystems der globalen Wachstumswirtschaft ist ein „Geozid", die langfristige Vernichtung von Leben auf der Erde, von Menschen, Tieren und Pflanzen zugunsten von kurzfristigem Profit.

Selbst verursachte Abhängigkeiten

Dieser Zustand verlangt die Übernahme von Verantwortung. Daher sind die Erwartungen an Wirtschaft und Politik hoch. Sie sollen für uns das Klima retten und ihr Verhalten ändern. Damit klammern wir erfolgreich unseren Eigenanteil aus. Wirtschaft und Politik verhalten sich in den gegenwärtigen Strukturen rational, erzielen ihren persönlichen und wirtschaftlichen Profit daraus. Ihr Interesse ist daher, möglichst nichts am gegenwärtigen Zustand zu verbessern. Erst wenn sie ihren Blick erweitern, sich vom selbst zerstörerischen materiellen Wachstumsdenken lösen, werden sie auch zum Klimaschutz ihren Teil beitragen.

Sich durch die Medien unterstützt an die Politik zu klammern, die eigenen Hoffnungen in ihren Schoß zu legen, festigt die gegenwärtigen Strukturen von Macht und Abhängigkeiten. Der Glaube, irgendjemand anderes könnte ein Problem für einen selbst lösen, gibt diesem Macht über einen selbst und schafft eine selbst verursachte Abhängigkeit. Genau diese Abgabe von Selbstbestimmung und Unabhängigkeit erzeugt das Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit, selbst nichts ändern zu können. Dadurch werden die eigenen Fähigkeiten, das eigene Potenzial geleugnet und verdrängt. Wir geben an die Politik unsere Macht ab, machen uns von ihr abhängig und erwarten dann von ihr die Erfüllung unserer Interessen.

Dieses Denken ignoriert die Macht und Freiheit des Individuums, der Basis unserer Gesellschaft. Wir alle haben die gleiche Macht, nutzen sie nur unterschiedlich. Indem viele ihre Macht an andere abgeben, ermächtigen sie diese und fühlen sich gleichzeitig ohnmächtig.

Das bürgerlich-liberale Aufklärungsideal entdeckte einst den Souverän im mündigen Individuum, das sich aber bis heute erfolgreich gewehrt hat, diese Rolle auch wahrzunehmen. Das Verhalten der politischen und wirtschaftlichen Führung sagt viel über das Verhalten der politisch und wirtschaftlich Geführten aus. Wenn wir mit der Rolle der Führung unzufrieden sind, müssen wir nur unsere eigene Rolle als Geführte ändern. Wo keine Geführten sind, gibt es auch keine Führung. Damit plädiere ich nicht für Anarchie, sondern für den Wechsel von der Fremdbestimmung zu Selbstbestimmung. Wir haben gelernt, Experten zu vertrauen, die wissen und uns sagen, was gut für uns ist. Das funktioniert nur solange, wie das Individuum unmündig ist und sich nicht selbst vertraut. Doch Aufklärung ist die Befreiung aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit.

Strukturwandel durch Selbstbestimmung

In dieser Erkenntnis liegt das neue Denken für einen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systemwechsel begründet. Wenn wir selbst für uns die Entscheidungen treffen, die gut für uns sind, die nachhaltig sind, schaffen wir ein neues System der Freiheit durch Mündigkeit anstatt der Ohnmacht durch Fremdbestimmung. Indem wir dieselbe Aufmerksamkeit, die die kommenden Worte von Kopenhagen genießen werden, uns selbst zukommen lassen, können wir selbst Nachhaltiges gestalten. Durch die hohe Aufmerksamkeit, die die politische Führung erhält, werden lediglich diejenigen ermuntert, diese Positionen einzunehmen, die viel Aufmerksamkeit brauchen. Es etabliert sich ein gegenseitiges System der Abhängigkeit und Fremdbestimmung. Ein wirklicher Wechsel wäre, das Medienereignis zu ignorieren, selbst zu handeln und dadurch neue Strukturen zu schaffen. Diese Selbständigkeit ist Lebensfreude – Freude, die uns durch ein Leben in Arbeit und Abhängigkeit abhanden gekommen ist. Wir haben das freudvolle Handeln durch freudlose Arbeit ersetzt.

Sorge gut für Dich selbst! Wähle nicht, welche Politik Dein Leben bestimmt, sondern bestimme selbst für Dich! Wähle bewusst Deine Arbeit, wähle bewusst Deine Kleidung, wähle bewusst Deine Ernährung, wähle bewusst, was Du brauchst und besitzt! Misstraue den Entscheidungen anderer für Dein eigenes Leben, aber vertraue Deinen Entscheidungen für Dein Leben und vertraue den Entscheidungen anderer für ihr Leben. Der gegenwärtige Zustand ist lediglich ein Mangel an (Selbst-)Vertrauen, bedingt durch die eigene Abgabe von Macht und Selbstbestimmung. Aufklärung behebt den Mangel, sie gibt uns die innere Freiheit und Lebensfreude zurück.

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Warum es ums Ganze geht

Dr. Daniel Sieben hat über einen nachhaltigen Bewusstseins- und Verhaltenswandel promoviert, bei der UmweltBank in Nürnberg gearbeitet und lebt jetzt als beratender Volkswirt auf dem Boschenhof, einem Demeter-Betrieb bei Leutkirch im Allgäu.

Infos unter www.danielsieben.de

 

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Nachhaltigkeit + die Entdeckung Trojanischer Pferde…

Populäre Projektionen dessen, wie eine Bewusstseinsveränderung aussehen wird, sind in den meisten Fällen nur eine Neugestaltung der “alten Denkschablonen “. Eine größere, bessere Box, in der das Paradigma aufgewertet wird, das die Bedingungen verbessert, unter denen wir unsere Sucht auf eine “grüne” Art und Weise genießen können.

So wichtig wie das ökologische Bewusstsein ist, es ist nicht genug. Das neue Paradigma kann nicht aus der intellektuellen Abstraktion einer dualistischen Interpretation einer “besseren Welt” verwirklicht werden, die auf der Infrastruktur der existierenden Varianten-Matrix aufbaut, die dieses Paradigma erzeugt.

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