Eine gesellschaftliche Revolution

Unwissenheit & Geist der Menschheit

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Die Klugheit des menschlichen Verstands hat uns zu der komplexen, erschreckenden und allumfassenden Krise geführt, der wir uns nun gegenüber sehen. Die gewohnten, auf einer begrenzten Sichtweise dessen, was den Menschen ausmacht, basierenden Lösungsversuche versagen auch weiterhin und sind erbärmlich inadäquat.

Zu vollkommener Revolution erwachen

von Vimala Thakar Bildquelle: dropping knowledge
Dieser Artikel besteht aus Auszügen von Vimala Thakars Buch Spirituality and Social Action: A Holistic Approach (Vimala Programs California: Berkeley, 1984). Susan Bridle

Vimala Thakar ist heute 80 Jahre alt und reist nicht mehr außerhalb Indiens. Doch nach wie vor empfängt sie Einzelne und Gruppen, die sich auf den langen Weg gemacht haben, um sie an ihrem Wohnort in Rajasthan oder in Ahmedabad, ihrem Winterquartier, aufzusuchen. Dort trifft sie mit Menschen aus aller Welt zusammen, deren Bandbreite von Buddhisten und Yoga-Lehrern über Industrielle, Ökologen und indo-pakistanische Friedensaktivisten bis hin zu Parlamentsabgeordneten reicht. „Spiritualität ist der Same”, sagt diese erwachte Aktivistin, „und soziales Handeln ist die Frucht, die aus ihm reift”. Thakars Worte haben eine Glaubwürdigkeit und Echtheit, wie sie nur aus einem Leben, das rückhaltlos und einzig und allein der vollkommenen Revolution des menschlichen Geistes gewidmet ist, hervorgehen können.

In einer Zeit, wo es fraglich ist, ob die Menschheit überleben wird, den Status quo fortzuführen, bedeutet nichts anderes als zu Wahnsinn und Chaos beizutragen. Wenn Dunkelheit und Unwissenheit den Geist der Menschheit überfluten, dann ist es äußerst dringlich, dass Menschen, die berührt und betroffen sind, erwachen und sich zur Revolution erheben.

Die Klugheit des menschlichen Verstands hat uns zu der komplexen, erschreckenden und allumfassenden Krise geführt, der wir uns nun gegenüber sehen. Die gewohnten, auf einer begrenzten Sichtweise dessen, was den Menschen ausmacht, basierenden Lösungsversuche versagen auch weiterhin und sind erbärmlich inadäquat. Nichtsdestotrotz pumpen wir Unsummen in diese abgenutzten Lösungen, und wenn diese Ausgaben, so glauben wir, nur gross genug sind, dann können wir mit Hilfe der alten Lösungsmöglichkeiten die neuen Schwierigkeiten doch noch überwinden. Haben wir den Mut, Fehler als Fehler anzuerkennen und sie der Vergangenheit zu überlassen? Haben wir die Kraft und den Mumm, die engen, einseitigen Sichtweisen des menschlichen Lebens hinter uns zu lassen und uns stattdessen für Vollständigkeit und Ganzheit zu öffnen? Das Gebot der Stunde heißt, über das Bruchstückhafte hinauszugehen und zu einer vollkommenen Revolution zu erwachen, die allerdings nichts mit den revolutionären Schemata der Vergangenheit zu tun hat, denn mögen diese heute auch in neuer Aufmachung erscheinen, sie haben alle versagt, wozu sie also wieder ausgraben? Die Herausforderung liegt jetzt darin, eine ganz neue, lebendige Revolution zu erschaffen, die die Gesamtheit des Lebens in ihren Wirkungskreis aufnimmt. Nie haben wir es gewagt, das Leben als Ganzes in all seiner überwältigenden Schönheit anzunehmen; wir gaben uns mit der ewigen Fortsetzung von winzigen Splittern zufrieden, damit, Schlupfwinkel zu ersinnen, in denen wir uns gedanklich und emotional sicher und geborgen fühlen. Diese könnten wir jetzt auch haben, hätten wir bei dem Versuch, das kosmische Ganze in mundgerechte Häppchen zu zerstückeln, nicht alles ganz schrecklich vermasselt. Wir haben ein gefährliches Chaos angerichtet und versuchen nun, die komplizierte Situation mit äußerst oberflächlichen und zusammengeschusterten Mitteln zu retten.

Heute, wo die Narben früherer Fehler unser Dasein verunstalten und die Angst vor der Zukunft schwer auf unserem Gemüt lastet, können wir dieses gefährliche Spiel der Fragmentierung nicht mehr weiter fortführen. Wir dürfen uns nicht länger der Tatsache verschließen, dass wir alle in der Ganzheit gleichwertig und untrennbar miteinander verbunden sind. Wissenschaft und Technik haben dazu geführt, dass wir alle in enger Beziehung zueinander stehen. Wir sind in der Tat eine globale menschliche Familie. Doch noch hat diese Familie nicht gelernt, frei von Gewalt und Ausbeutung in Frieden zusammenzuleben. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts schrieb Bertrand Russell: „Der Mensch kann wie ein Vogel in der Luft fliegen, er kann wie ein Fisch im Wasser schwimmen, aber er weiss nicht, wie man unter den Menschen lebt.”

Zu den Wurzeln des Konflikts vordringen

Obwohl doch unser schieres Überleben auf dem Spiel steht, setzen wir uns nur sehr oberflächlich, emotional und sentimental mit der Krise auseinander. Auf raffiniert subtile Weise haben wir versucht, uns von jedweder ernsthaften Verantwortung für den Zustand der menschlichen Familie freizusprechen, indem wir uns selbst und unsere kleine Bezugsgruppe als wirklich aufrichtig und friedliebend ansehen, während wir Außenstehenden, Anderen, machthungrigen Bösewichten alle Verantwortung für Krieg und Aggression zuschreiben.

Aber wie können wir uns als Angehörige kriegsbereiter Gesellschaften von diesen abheben, indem wir uns selbst als friedliebend, die anderen hingegen als gewalttätig betrachten? Genau das versuchen wir jedoch. Durch die Medien erfahren wir von Massakern und Kriegen in aller Welt und finden es so unglaublich dumm, Krieg zu führen. Wir fragen uns dann, wieso die Politiker und Staatsmänner nicht klug genug sind, diesen Unsinn zu beenden. So reagiert wahrscheinlich jeder fühlende Bürger dieser Welt. Wer aber führt den Krieg, wo liegen seine Wurzeln? Sind sie in den Köpfen einer Handvoll Individuen, die über ihre jeweiligen Länder regieren? Oder befinden sich die Wurzeln des Kriegs nicht vielmehr in den Systemen, die wir geschaffen haben und nach denen wir seit Jahrhunderten leben in Wirtschaft, Politik, Industrie und Verwaltung? Wenn wir, anstatt einfach nur emotional zu reagieren und zu bekunden, wie schrecklich Krieg doch ist, einmal tiefer gehen, werden wir dann nicht die Wurzeln des Kriegs in eben jenen Systemen und Strukturen finden, die wir selbst akzeptiert haben?

Wir werden entdecken, dass es Systeme und Strukturen gibt, die unausweichlich zu Aggression, Ausbeutung und Krieg führen. Wir haben Aggression als Lebensart anerkannt. Wir erschaffen und verschanzen uns in Strukturen, die in Kriegen gipfeln. Es ist nicht möglich, die Strukturen beizubehalten und gleichzeitig Kriege zu vermeiden. Sie und ich, jeder einzelne, muss die eigene Verantwortung dafür erkennen, dass wir mit diesen Systemen kooperieren und uns somit an Gewalt und Kriegen beteiligen. Und dann müssen wir uns fragen, ob wir nicht einfach mit all dem aufhören können, um stattdessen alternative Lebensweisen zu erkunden.

Wir müssen zu den Wurzeln des Problems vordringen, zum Kern der menschlichen Psyche, und erkennen, dass ein gemeinschaftliches soziales Handeln mit Änderungen im Leben jedes einzelnen beginnt. Wir können Individuum und Gesellschaft nicht voneinander trennen. Wir alle haben die Gesellschaft verinnerlicht, indem wir ihr Wertsystem annehmen, und die Prioritäten akzeptieren, die Staat, Regierung und politische Parteien für uns ausgearbeitet haben. Wir sind ein Ausdruck des Kollektiven, wiederholen die für uns geschaffenen Muster und sind glücklich, weil uns physische und wirtschaftliche Sicherheit, Behaglichkeit, Freizeit und Unterhaltung geboten werden. Wir sind besessen von der Idee der Sicherheit, und Gedanken an die Zukunft quälen uns weit mehr als die Verantwortung für die Gegenwart.

Über die Fragmentierung hinausgehen

Sind wir bereit, diesen unangenehmen Tatsachen ins Auge zu schauen und ihnen nicht mehr auszuweichen, dann können wir fortfahren. Wenn wir uns in Selbstmitleid und Depression ergehen, dann könnte diese Negativität zu Zynismus und Verbitterung anderen und dem System gegenüber führen. Und solch negative Energie freizusetzen, trüge gewiss nicht zur Lösung des Problems bei. Wir müssen uns an die unverfälschten Tatsachen halten. Ob es uns gefällt oder nicht, wir sind verantwortliche Teilnehmer an dem, was in der Welt geschieht. Wenn wir Unrecht und Gewalt in unseren Herzen dulden, dann kooperieren wir mit jedem, der Kriege führt. Wir sind Mittäter, weil wir Gewalt auf einer psychologischen Ebene billigen. Wenn wir dem Kämpfen wirklich ein Ende setzen wollen, dann müssen wir tief in der menschlichen Psyche forschen, dort wo die Wurzeln der Gewalt ihre Grundfeste haben. Der Weg aus dem Chaos wird uns verschlossen bleiben, wenn wir die Ursache von Gewalt, Begierde und Missgunst nicht finden. Gelingt es uns nicht, ihre Wurzeln auszumerzen, dann sind wir elendiglich dazu verdammt, auf immer die Fehler aus der Vergangenheit zu wiederholen. Wir müssen erkennen, dass das Innere und das Äußere auf subtile Weise miteinander zu einem Ganzen verwoben sind und wir uns nicht erfolgreich um das eine kümmern können, ohne auch das andere zu berücksichtigen. Es ist ein Teufelskreis die Strukturen und Systeme bedingen das innere Bewusstsein, die Konditionierungen des Bewusstseins wiederum erschaffen die Strukturen und Systeme. Man kann nicht einen Teil dieser wechselseitigen Beziehung herausgreifen und ihn strahlend schön ausgestalten, dem Rest jedoch einfach keine Beachtung schenken. Die Zwänge der gesellschaftlichen Konditionierungen sind sehr fest verwurzelt und lassen sich nicht ignorieren.

Traditionell gibt es zwei getrennte Herangehensweisen

Die eine führt uns an die sozialen, ökonomischen und politischen Probleme und sagt: „Seht her, wenn die ökonomischen und politischen Probleme nicht gelöst werden, wird es weder Glück noch Frieden geben und auch kein Ende des Leidens. Jeder Einzelne trägt die Verantwortung, sich im Sinne irgendeiner Ideologie mit der Lösung dieser Probleme zu befassen. Sich dem inneren Leben mit seiner Unausgeglichenheit und seiner Unanständigkeit zuzuwenden, ist nicht so dringlich und kann auch noch auf später verschoben werden, da dies sowieso nur eine selbstsüchtige und egoistische Beschäftigung ist. Vielmehr haben wir eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, gegenüber der menschlichen Spezies. Also lassen wir all diese Fragen zu Meditation und Stille, geistiger Kultiviertheit und der Transformation zu innerer Revolution zunächst einmal beiseite und wenden wir uns zuerst den richtigen Schwierigkeiten zu.” Die andere Herangehensweise kontert: „Solange das Individuum nicht vollkommen transformiert ist, können die politischen und ökonomischen Probleme nicht gelöst werden. Kümmert euch also um eine persönliche psychologische Umwandlung, um die innere, radikale Revolution! Die umweltpolitischen und sozialen Probleme können warten.”

Für gewöhnlich folgen die Leute einem dieser beiden klassischen Wege: Religiöse Gruppen beschäftigen sich mit innerem Wachstum und innerer Revolution, soziale Aktivisten engagieren sich im Dienst an der Gemeinschaft. Wie üblich haben wir eine Grenze geschaffen, und Erkundungen außerhalb unseres eigenen Territoriums sind nur oberflächlicher Natur. Die sozialen Aktivisten haben ihr Gebiet abgesteckt, die Außenwelt mit ihren sozio-ökonomischen und politischen Strukturen, und die spirituell orientierten Menschen haben die innere Welt höherer Bewusstseinsstufen, transzendentaler Experimente und Meditation zu ihrer Domäne erklärt. Diese beiden Gruppen haben sich zu allen Zeiten stets gegenseitig verachtet. Die sozialen Aktivisten halten die spirituellen Sucher für zu nachgiebig gegenüber sich selbst, und diese wiederum betrachten die Sozialaktivisten als in ihrem eigenen Aktivismus gefangene Gehetzte, die die Essenz des Lebens verleugnen. Die spirituellen Führer der alten Traditionen haben das Leben in weltlich und spirituell unterteilt und nachdrücklich betont, dass die Welt nur Illusion ist. Sie sagten: „Diese Welt ist Maya, ist eine Illusion. Daher sollt ihr all euer Tun auf die absolute Wahrheit und nicht auf Maya ausrichten.” Folglich muss sich ein religiöser Mensch, der zehn Stunden am Tag meditiert, nicht mit der Grausamkeit, Tyrannei und Ausbeutung auseinandersetzen, die in dieser Welt allgegenwärtig sind. Er würde sagen: „Dafür bin ich nicht verantwortlich. Das ist Gottes Verantwortung. Gott hat die Welt erschaffen. Er oder sie wird sich schon darum kümmern.”

Es hat gelegentlich oberflächliche Vermischungen gegeben, spirituelle Gruppen, die sich sozial engagieren und soziale Aktivisten, die religiösen Organisationen beitreten, aber eine echte Integration von sozialer Aktion und Spiritualität auf einer tieferen, innovativen Ebene hat noch nicht wirklich stattgefunden. Der Verlauf der menschlichen Entwicklung war bisher nur unvollständig und bruchstückhaft, doch das Gros der Menschheit gab sich damit zufrieden. Fragmentierung wird von der Gesellschaft gutgeheißen. Jede gesellschaftliche Splittergruppe hat ihr eigenes Wertesystem. Unter den meisten sozialen Aktivisten gelten Ärger, Hass, Gewalt, Bitterkeit und Zynismus als normal und allgemein üblich, eine Gewohnheit, deren Wirksamkeit für ein friedliches Zusammenleben ernsthaft in Zweifel gezogen werden muss. Auf der anderen Seite haben Generationen spiritueller Sucher die Gleichgültigkeit gegenüber der notleidenden Bevölkerung auf geradezu schockierende Weise gebilligt, weil ihnen höhere Bewusstseinsstufen erheblich mehr bedeuten als das Elend von abertausenden verhungernden Mitmenschen.

Jetzt, am Beginn des einundzwanzigsten Jahrhunderts wartet eine neue Herausforderung auf uns: Es gilt, über die Zersplitterung und die unvereinbaren Wertvorstellungen, an denen selbst ernstzunehmende Gemüter noch festhalten, hinauszugehen, über die Selbstgerechtigkeit der jeweiligen von uns anerkannten Herangehensweise hinauszuwachsen und sich für ein vollkommenes Leben und eine allumfassende Revolution zu öffnen. In dieser Epoche ein spirituell Suchender ohne soziales Gewissen zu sein, ist ein Luxus, den wir uns nur schwerlich leisten können. Und es ist die ärgste Torheit, ein sozialer Aktivist ohne exaktes Verständnis der inneren Funktionsmechanismen des menschlichen Verstandes zu sein. Keiner der beiden Wege hat für sich allein genommen bisher nennenswerte Erfolge verbuchen können. Es steht heute außer Frage, dass ein spirituell Suchender ein soziales Bewusstsein entwickeln muss, so wie es die Aufgabe des sozialen Aktivisten ist, sich von der geistig-moralischen Krise in der menschlichen Psyche zu überzeugen und zu erkennen, wie wichtig es ist, dem inneren Leben Aufmerksamkeit zu schenken. Nun gilt es, als Menschen viel tiefer zu gehen, oberflächliche Vorurteile und Vorlieben aufzugeben, unser Verstehen auszudehnen, bis es die ganze Welt umfängt, die Gesamtheit des Lebens zu vereinigen und uns der Ganzheit bewusst zu werden, von der wir eine Manifestation sind.

Mit zunehmender Tiefe unseres Verstehens wird die willkürliche Trennung zwischen innen und außen verschwinden. Die Essenz des Lebens, seine Schönheit und Erhabenheit besteht in seiner Ganzheit. In Wirklichkeit kann das Leben nicht in ein Innen und ein Außen, in Individuum und Gesellschaft eingeteilt werden. Wir mögen zwar willkürliche Grenzen ziehen, weil sie für das Zusammenleben zweckdienlich sind, um einzelne Faktoren zu analysieren und ihnen auf den Grund zu gehen, aber eigentlich hat eine Trennung zwischen innen und aussen keinerlei Bedeutung, weil sie nicht real ist.

Wir haben die voneinander isolierten Teilbereiche unserer Gesellschaft, die Zerstückelung des Lebens als unvermeidliche Tatsache hingenommen. Jetzt erkennen wir die verinnerlichten Teilstücke die verschiedenen Rollen, die wir spielen, die sich widersprechenden Wertesysteme, die gegensätzlichen Motive und Prioritäten als Realität an und beziehen uns so auf sie. Wir sind tief innerlich uneins mit uns selbst. Wir glauben, dass sich das Innere grundlegend vom Äußeren unterscheidet, dass das, was „ich” ist, eindeutig anders ist als „nicht-ich”, dass Grenzen zwischen Menschen und Nationen nötig sind, und dann wundern wir uns, warum es Spannungen, Konflikte und Kriege in der Welt gibt. Der Ursprung der Konflikte liegt in den Gemütern, die an Spaltung glauben und Ganzheit nicht erkennen.

Eine holistische Herangehensweise liegt im Erkennen der Homogenität und Ganzheit des Lebens. Das Leben ist nicht unterteilt, weder in „spirituell” und „materiell”, noch in „individuell” und „kollektiv”. Wir können keine getrennten politischen, ökonomischen, sozialen und ökologischen Abteilungen des Lebens erschaffen. Was immer wir tun oder lassen mögen, beeinflusst die Ganzheit, berührt die Homogenität. Wir sind auf ewig organisch mit dem Ganzen verbunden. Wir sind Ganzheit und wir bewegen uns in der Ganzheit. Das Bewusstsein der Einheit weigert sich, Getrenntheit zu erkennen. Eine holistische Haltung zu haben bedeutet also, alle Unterteilungen, alle Getrenntheit seitens der Religion, der Spiritualität, der Sozialwissenschaften, der Politik oder der Ideologien nicht mehr zu erkennen und nicht mehr anzuerkennen. Wenn wir die Wahrheit wirklich verstehen, werden wir nicht mehr am Unwahren anhaften. Sobald wir das Falsche als falsch erkennen, werden wir ihm keinen Wert mehr beimessen. Wir ent-anerkennen es im täglichen Leben. Eine seelische und psychologische Ent-Anerkennung jeder Art von Zerstückelung ist der Anfang positiven sozialen Handelns.

Wenn das Bewusstsein für die Gesamtheit im Herzen keimt und ein Erkennen der Verbundenheit aller Wesen heraufdämmert, dann gibt es keine Möglichkeit mehr, sich ausschließlich ein Teilstück herauszugreifen und sich dort festzusetzen. Sobald das Bewusstsein für die Ganzheit erwacht, ist jeder Augenblick heilig, wird jede Bewegung heilig. Die Empfindung von Einssein ist dann keine intellektuelle Vorstellung mehr. In all unseren Handlungen werden wir vollkommen, mühelos natürlich und total sein. Alles Handeln und alles Nicht-Handeln wird dann den Duft der Ganzheit verströmen.

Innere Freiheit ist eine soziale Verpflichtung

Die Welt als eine große Kollektion zusammengesetzter Einzelteile zu betrachten, von denen manche mit „Freund”, andere mit „Feind” etikettiert sind, beginnt im Innern. Wir teilen unsere inneren Gebiete genauso mittels positiver oder negativer Bezeichnungen ein, wie wir es auch mit äußerem Territorium zu tun pflegen, und Kriege gibt es hier wie dort. Wir sind innerlich gespalten; die Gefühle wollen dieses, der Verstand jenes und die biologischen Triebkräfte wieder etwas anderes. Es ist ein fortwährender Konflikt, der sich zwar graduell, nicht jedoch qualitativ von Weltkriegen unterscheidet. Wenn wir nicht einmal uns selbst als innerlich ganz erleben, ist es da ein Wunder, dass wir die Ganzheit der Welt nicht wahrnehmen können? Wenn wir uns selbst für ein bunt zusammengewürfeltes unharmonisches Sortiment willkommener und unerwünschter Eigenschaften, zwiespältiger Motive, unverdauter Glaubenssätze, Vorurteile, Ängste und Unsicherheiten haltenwerden wir das dann nicht auf die Welt projizieren?

Weil die Quellen menschlicher Konflikte, soziale Ungerechtigkeit und Ausbeutung, in unserer Psyche liegen, müssen wir auch dort mit der Transformation der Gesellschaft beginnen. Doch die Erforschung der menschlichen Psyche geschieht nicht eigensüchtig zum Selbstzweck, sondern aus Mitgefühl für die gesamte Menschheit. Wir müssen tief an den Ursprung des Verfalls in der Gesellschaft vordringen, damit die neugestalteten Strukturen und sozialen Systeme ein gesundes und kräfiges Wurzelwerk entwickeln, aus dem alles gut gedeiht. Die Strukturen der Gesellschaft und ebenso die ihnen zugrunde liegenden versteckten Motive und Annahmen müssen transformiert werden. Die individuellen und kollektiven Werte und Motive, die die Ungerechtigkeit und Ausbeutung der modernen Gesellschaft billigen, müssen aufgedeckt und genauso in den Brennpunkt der Veränderung gestellt werden, wie die sozio-ökonomischen und politischen Strukturen. Es ist nicht von dauerhaften Nutzen, die oberflächlichen Strukturen und Verhaltensweisen zu ändern, während die tiefliegenden Fundamente verrotten und verfallen.
Die engagierten sozialen Aktivisten unter uns halten ihre persönlichen Moral- und Wertvorstellungen, ihre Beweggründe und Gewohnheiten für eine reine Privatsache, über die niemand etwas erfahren soll, nicht einmal sie selbst. Doch in Wahrheit ist unser geistiges Innenleben keine private oder persönliche, sondern eine ausgesprochen öffentlich-gesellschaftliche Angelegenheit. Der Geist ist das Ergebnis kollektiver menschlicher Bemühungen. Es gibt nicht deinen Geist oder meinen, es gibt nur einen gemeinsamen menschlichen Geist, der sich über Jahrhunderte entwickelt hat. Alle Werte, Normen und Kriterien sind Verhaltensmuster, die von gemeinschaftlichen Gruppen ins Leben gerufen wurden, an ihnen ist nichts Persönliches oder Privates. Wir können die Tür hinter uns schließen und uns einbilden, dass niemand unsere Gedanken kenne, aber was wir in unserer sogenannten Privatsphäre tun, hat Auswirkungen auf das Leben um uns herum. Wenn uns negative Gedanken und Energien quälen und wir uns der Schwermut und Verbitterung überlassen, vergiften diese Energien die Atmosphäre. Wo ist da die Privatsphäre? Es ist unsere soziale Pflicht, den Geist als Gemeinschaftswerk zu betrachten und unser individuelles Gebaren als Ausdruck des menschlichen Geistes zu erkennen. Es ist weiterhin absolut notwendig, innere Freiheit von der Vergangenheit, von Denkstrukturen und von dem durchorganisierten und genormten kollektiven Verstand zu erlangen, wenn wir einander ohne Misstrauen und Argwohn begegnen wollen, wenn wir uns ungezwungen und ohne Scheu anschauen wollen, einander ohne jede Hemmung zuhören wollen. Das Studium des Verstands und die Erforschung innerer Freiheit sind weder utopisch noch egoistisch, sondern dringend notwendig, damit wir als Menschen die Mauern überwinden können, die die Bevormundung des Denkens zwischen uns aufgebaut hat. Dann werden wir uns als Menschen ohne Etikett erkennen, unbeschrieben, nicht als Inder, Amerikaner, Kapitalist oder Kommunistsondern als menschliche Wesen, jedes eine Miniatur-Ganzheit. Noch haben wir das nicht gelernt. Wir sind auf diesem kleinen Planeten zusammen und können dennoch nicht miteinander leben. Körperlich sind wir einander nahe, doch psychologisch sind wir meilenweit voneinander entfernt. Zweifellos ist die soziale Verantwortung, innere Freiheit zu erlangen, eine Aufgabe von höchster Bedeutung. Wir untersuchen den Geist, weil wir wollen, dass Eintracht und Frieden herrschen, weil wir des Glücks der Liebe in unseren Herzen bedürfen und weil wir uns um die Qualität des Lebens in dieser Welt, die unsere Kinder einmal erben werden, sorgen. Wir betreiben unsere Forschungen nicht, weil wir etwas Neues, Esoterisches für das Ego wollen, ein paar transzendentale Erfahrungen vielleicht, die unser Selbstbild aufwerten. Wir sehen sie vielmehr als soziale Pflicht; wir erkennen, dass die Wurzeln von Gewalt, Ungerechtigkeit, Ausbeutung und Gier in der menschlichen Psyche liegen, und wenden uns ihr mit klarer, präziser und objektiver Aufmerksamkeit zu.

Wir sind organisch miteinander verbunden und wir müssen diese Verbindung leben. Unsere Aufmerksamkeit für die treibenden Kräfte des Inneren dient nicht der Zerstreuung und Ablenkung von unserer Verantwortung. Es geht nicht darum, eine Pseudoüberlegenheit beizubehalten, die da heißt: „Ich bin sensibel und du nicht”. Es bedeutet einfach, zu erkennen, dass unsere persönlichen und gesellschaftlichen Beziehungen miserabel sind, Furcht und Angst auslösen und uns in die Defensive drängen. Wie sehr wir uns auch nach Frieden sehnen mögen, emotional sind wir nicht reif genug für den Frieden, und unsere Unreife wirkt sich auf all unser Handeln aus, wie gut und angemessen es auch sei. Die Beseitigung innerer Unordnung und Verwirrung findet im Leben derer statt, die daran interessiert sind, wahrhaftig kreative, lebendige und leidenschaftliche vollkommene Menschen zu sein, und die erkennen, dass inneres Chaos Energie entzieht und sich in niederträchtigem, unechtem Benehmen in der Gesellschaft manifestiert. Achtsam zu sein verlangt eine ungeheuer große Liebe für das Leben. Es ist nichts für jene, die sich durchs Leben nur treiben lassen wollen oder für die, die glauben, dass durch mildtätiges Handeln in der Gesellschaft hässliche innere Gewohnheiten gerechtfertigt werden. Die vollkommene Verwandlung, die wir untersuchen, ist nichts für Zaghafte und Selbstgerechte. Sie ist für jene, die die Wahrheit mehr lieben als Schein und Täuschung. Für die, die aufrichtig und demütig einen Weg aus dem Durcheinander finden wollen, das jeder einzelne von uns durch unsere Gleichgültigkeit, Nachlässigkeit und unseren Mangel an moralischem Mut geschaffen haben.

Wir haben die Wahl

Die meisten von uns sind sich der ihrer Lebensweise zugrunde liegenden Motive und Handlungsanstöße nicht bewusst. Wir treiben mit der Strömung der kulturellen Sitten und Gebräuche. Wir gleiten, je nach Laune des gesellschaftlichen Diktats, unter dem Eindruck der von den Massenmedien kreierten Bilder und, nicht zuletzt, getrieben von dem oberflächlichen, persönlichen Bedürfnis, ein hilfsbereiter und nützlicher Mensch zu sein, in gesellschaftliche Belange hinein und wieder heraus. Wir haben uns an ein Leben an der Oberfläche gewöhnt und fürchten die Tiefen, deshalb sind unsere Sorge um die Menschheit und unser sozialer Einsatz nur kleine, schwache Schifflein, die leicht zu Schaden kommen können. Im Grunde interessieren sich die meisten von uns doch vornehmlich für ihr eigenes, kleines Leben, ihre sinnlichen Vergnügungen, ihr persönliches Seelenheil und ihre Angst vor Krankheit und Tod, anstatt für das durch unsere kollektive Gleichgültigkeit und Gefühllosigkeit entstandene Leid und Elend.

Allerdings haben wir nun den Punkt erreicht, wo wir es uns nicht länger leisten können, unserem egozentrischen Wohlergehen und persönlichen Reichtum zu frönen oder uns auf Kosten gemeinschaftlicher Interessen in religiöse Bestrebungen zu flüchten. Für uns darf es kein Entkommen, keinen Rückzug, keinen privaten Ort geben, wo wir dem Leid der Menschheit den Rücken kehren und sagen: „Ich bin nicht verantwortlich. Andere haben dieses Durcheinander geschaffen, sollen die es auch wieder in Ordnung bringen.” Das Menetekel, die Schrift an der Wand der Welt, ist unmissverständlich: „Lernt das Leben in Gemeinschaft oder seid getrennt des Todes!” Wir haben die Wahl.

Die Welt von heute zwingt uns, zumindest intellektuell, unsere Einheit, unsere Wechselbeziehung zu akzeptieren. Und immer mehr Menschen wird klar, wie dringlich es ist, den immer schneller werdenden Wahnsinn um uns herum anzuhalten. Bis jetzt jedoch sind unsere Reaktionsversuche nur oberflächlich und der Vielschichtigkeit der Anforderungen nicht gewachsen. Wir unternehmen keine Schritte, ja, ziehen sie nicht einmal in Betracht, die unsere Sicherheit gefährden könnten oder die uns daran hindern würden, uns auf gewohnte Weise durchs Leben treiben zu lassen. Wenn wir weiter so achtlos und gleichgültig, profit- und genusssüchtig vor uns hinleben, dann entscheiden wir uns im Grunde für den Selbstmord der Menschheit.

Man kann sich gemäß der eigenen Mittel und Fähigkeiten auf vielfältige Weise sozial engagieren, ohne auch nur ein Jota der privaten Interessen aus den Augen zu verlieren. Tatsächlich wertet ein soziales Engagement für gewöhnlich unser Selbstbild eher auf und steigert noch unsere Egozentrik. Um aber wahrhaftig sozial handeln zu können, so, dass die Wurzeln des Problems sowohl in der menschlichen Psyche, als auch in der Gesellschaft gekappt werden, müssen wir unsere selbstsüchtigen Beweggründe hinter uns lassen. Unsere Sehnsucht nach Frieden muss so drängend sein, dass wir bereit sind, uns von unserem unreifen, egoistischen Verhalten zu befreien, um stattdessen in die geistig gesunde Reife und Mündigkeit hineinzuwachsen, die notwendig ist, um mit den vielschichtigen Schwierigkeiten, die unsere Existenz bedrohen, umgehen zu können. Wenn wir vom Verlangen nach Anerkennung getrieben werden, sei es seitens der herrschenden Kultur oder ihrer Gegenkultur, wird uns die Klarheit und Leidenschaft für rechtes Handeln zum richtigen Zweck fehlen. Vielleicht werden wir für unsere Mithilfe gelobt, aber bevor wir uns nicht der Essenz des Lebens zutiefst bewusst sind und eine durchdringende Klarheit hinsichtlich der Bedeutung der menschlichen Existenz besteht, werden unsere Beiträge nicht die Wurzeln des menschlichen Not erreichen.

Um zur Übernahme sozialer Verantwortung bereit zu sein, müssen wir gnadenlos ehrlich mit uns selbst sein. Wir sind überall und jederzeit verpflichtet, uns Ungerechtigkeiten zu widersetzen, unsere Bequemlichkeit, Sicherheit und unser Leben in furchtloser Verweigerung der Zusammenarbeit mit Ungerechtigkeit und Ausbeutung aufs Spiel zu setzen. Wenn wir uns all die Verhaltensmuster der Versklavten zu eigen machendie Furcht, die Hinnahme der Tyrannei, die intellektuelle und emotionale Blindheit für das Unrecht, dann haben wir die Konsequenzen, die zwangsläufig wie aus einer dunklen Gewitterwolke auf uns herabstürzen werden, verdient. Wenn wir uns gehorsam und ergeben an unserem Inselchen namens „Sicherheit” festklammern, dann werden natürlich Angst und Schrecken herrschen. Wenn wir zulassen, dass alle anderen zugrunde gehen, die Menschen anderer Länder, Rassen, Gesellschaftsklassen, Kulturen, Religionen und die übrigen Geschöpfe dieser Erde, damit wir gedeihen und unaufhörlich die Palette unserer Genüsse und Annehmlichkeiten erweitern können, dann sind wir ganz klar dem Untergang geweiht. Die Abgebrühtheit, mit der wir zulassen, dass andere missbraucht werden, damit unser eigenes, unbedeutendes Leben in Wohlstand ungestört weitergehen kann, ist ein Vorbote des schlimmen Schicksals, das uns alle ereilen wird.

Wenn wir nun dem Leiden der Menschen und des Planeten direkt ins Auge sehen, welche Wirkung wird diese schreckliche Stunde der Wahrheit auf uns haben? Ziehen wir uns hinter bequeme Theorien und Verteidigungsmechanismen zurück oder werden wir im Herzen unseres Seins erwachen? Die Wahrnehmung von Elend und Not ohne den Aufbau innerer Verteidigungsmechanismen wird natürlicherweise in Handlungen münden. Das Herz kann nicht Zeuge von Leiden sein, ohne die Macht der Liebe zu aktivieren und zum Handeln aufzurufen. Vielleicht setzen wir uns nicht auf globaler oder nationaler Ebene, sondern nur in unserer Gemeinde oder Nachbarschaft ein, aber handeln, reagieren müssen wir. Soziale Verantwortung blüht ganz natürlich auf, wenn wir die Welt ohne Beteiligung des Ego-Bewusstseins wahrnehmen. Wenn wir uns direkt mit dem Leiden verbinden, werden wir zu Verständnis und spontanem Handeln geführt, aber wenn wir die Welt aus der Sicht des Egos wahrnehmen, dann sind wir von der Möglichkeit einer unmittelbaren Beziehung abgeschnitten, von einer Verbindung, die die tiefste Ebene unseres Seins berührt.

Die Macht der Liebe ist die Macht vollkommener Verwandlung

Wenn wir überleben wollen, dann muss eine zärtliche und liebevolle Fürsorge für alle Geschöpfe in unseren Herzen entstehen und regieren. Unser Leben wird nur dann wahrlich gesegnet sein, wenn die Not eines Einzelnen aufrichtig als die Not aller empfunden wird. Die Macht der Liebe ist die Macht vollkommener Verwandlung. Sie ist eine noch nicht befreite Macht, als die treibende Kraft für Veränderungen noch unerforschtes Neuland. Wir haben uns in unserem Zusammenleben zerstörerisch weit von der Liebe entfernt und sind nun dem Verhungern nah. Vielleicht besitzen wir jetzt die Weisheit zu erkennen, dass die Liebe für uns Menschen so lebenswichtig ist, wie die Luft, die wir atmen, das Wasser, das wir trinken und die Nahrung, die wir essen. Die Liebe ist das Schönste, das zarte Mysterium, die Seele des Lebens, die strahlende, unverdorbene Reinheit, die spontane Freude, Lieder der Verzückung, Gedichte, Bilder, Tänze und Schauspiele hervorbringt, um ihre unbeschreibliche, niemals vollkommen erreichbare Glückseligkeit zu feiern. Können wir die Liebe unter das Volk bringen, in die Häuser, Schulen, Firmen und Geschäfte, um diese vollkommen zu verwandeln? Die Herausforderung mag utopisch erscheinen, doch sie ist die einzige, die einen nennenswerten Unterschied machen wird und die des Potentials eines ganzen Menschen wirklich würdig ist.

Mitgefühl ist eine spontane Bewegung der Ganzheit. Es ist keine wohlüberlegte Entscheidung, die Armen und Bedürftigen zu unterstützen. Mitgefühl besitzt eine ungeheure Antriebskraft, die uns natürlich und ohne eine Wahl zu angemessenem Handeln veranlasst. Mitgefühl hat die Kraft der Intelligenz und der Kreativität und die Stärke der Liebe. Echtes Mitgefühl kann nicht kultiviert werden; weder entstammt es geistigen Überzeugungen, noch emotionalen Reaktionen. Es ist einfach da, wenn die Ganzheit des Lebens zu einer wahrhaft gelebten Tatsache wird. Mitgefühl wird sich nicht manifestieren, wenn wir an der Oberfläche der Existenz leben, wenn wir versuchen, uns aus leicht verfügbaren Bruchstücken ein angenehmes Leben zusammenzubauen. Mitgefühl verlangt einen Sprung in die Tiefen des Lebens, dorthin, wo die Einheit Realität ist und Trennungen nur Illusion. Wenn wir uns in den seichten Gewässern des Seins aufhalten, werden wir uns der sichtbaren körperlichen, geistigen und soziokulturellen Unterschiede zwischen den Menschen allzu bewusst. Dringen wir aber zum Wesentlichen vor, dann werden wir vielmehr entdecken, dass es nichts Grundlegendes gibt, worin sich ein Mensch vom anderen, oder von irgendeinem anderen Geschöpf, unterscheidet. Alle sind Manifestationen des Lebens, nach denselben Gesetzen erschaffen und von denselben Lebenserhaltungssystemen genährt. Einheit ist absolute Realität; Differenzierungen sind nur von vorübergehender, relativer Wirklichkeit. Doch es genügt nicht, dass einige Wenige aus der Gesellschaft zu den Tiefen des Lebens vordringen und faszinierende Berichte über die Einheit aller Wesen anbieten. In diesen schwierigen Zeiten ist es notwendig, dass jeder sensible und sozial engagierte Mensch die Tatsache des Einsseins für sich persönlich entdeckt und echtes Mitgefühl in sein Leben strömen lässt. Wenn Mitgefühl und die Erkenntnis des Einsseins zur treibenden Kraft zwischenmenschlicher Beziehungen werden, dann wird sich die Menschheit entwickeln.

Überall in der Welt leiden wir unter der selbsterschaffenen düsteren Not. Es ist uns nicht gelungen, in Frieden und Harmonie miteinander zu leben, weil wir an das Bruchstückhafte und Oberflächliche glaubten, und Finsternis braut sich am Horizont zusammen. In solch dunklen Zeiten spüren gewöhnliche Menschen wie Sie und ich die Dringlichkeit, tiefer zu gehen und die oberflächlichen und inadäquaten Vorgehensweisen loszulassen, um stattdessen die kreativen Kräfte zu aktivieren, die uns allen als Ausdruck der Ganzheit zur Verfügung stehen. Die unermessliche Intelligenz, die den ganzen Kosmos lenkt, ist für alle da. Die Schönheit und das eigentliche Wunder des Lebens besteht darin, dass wir ein grenzenloses Potenzial an Kreativität und Intelligenz mit dem übrigen Kosmos teilen. Wenn das Universum unermesslich und geheimnisvoll ist, dann sind wir es auch. Wenn es unzählige kreative Energien birgt, dann auch wir. Hat es heilende Kräfte, dann besitzen auch wir diese. Die Erkenntnis, dass wir nicht ausschließlich Körper auf einem stofflichen Planeten sind, sondern dass wir ganzheitliche Wesen sind, jedes einzelne ein Miniatur-Kosmos, mit dem Leben auf innige und tiefgründige Weise verbunden, sollte die Art, wie wir uns, unsere Umwelt und unsere sozialen Probleme erleben, radikal verändern. Nichts kann je aus der Ganzheit herausgenommen werden.

Da ist so viel unerforschtes Potenzial in jedem Menschen. Wir sind nicht einfach nur Fleisch und Knochen oder eine Verschmelzung verschiedener Konditionierungen. Wenn dem so wäre, dann sähe unsere Zukunft auf diesem Planeten wirklich düster aus. Aber es gibt unendlich viel mehr im Leben, und jeder leidenschaftliche Mensch, der es wagt, jenseits des Bruchstückhaften und Oberflächlichen das Geheimnis der Ganzheit zu ergründen, hilft der gesamten Menschheit zu verstehen, was es heißt, ein ganzer Mensch zu sein. Revolution, vollkommene Revolution, bedeutet, das Unmögliche zu probieren. Und wenn ein Mensch diesen Schritt in das Neue, das Unmögliche wagt, dann nimmt er die ganze Menschheit mit.

Zitate aus: On an Eternal Voyage, Vimala Thakar (Vimal Parivar: Bombay, 1994) und Vimalaji’s Global Pilgrimage, ed. Kaiser Irani (Vimal Prakashan Trust: Ahmedabad, 1996)

Dieser Artikel besteht aus Auszügen von Vimala Thakars Buch Spirituality and Social Action: A Holistic Approach (Vimala Programs California: Berkeley, 1984). Susan Bridle

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Nachhaltigkeit + die Entdeckung Trojanischer Pferde…

Populäre Projektionen dessen, wie eine Bewusstseinsveränderung aussehen wird, sind in den meisten Fällen nur eine Neugestaltung der „alten Denkschablonen „. Eine größere, bessere Box, in der das Paradigma aufgewertet wird, das die Bedingungen verbessert, unter denen wir unsere Sucht auf eine „grüne“ Art und Weise genießen können.

So wichtig wie das ökologische Bewusstsein ist, es ist nicht genug. Das neue Paradigma kann nicht aus der intellektuellen Abstraktion einer dualistischen Interpretation einer „besseren Welt“ verwirklicht werden, die auf der Infrastruktur der existierenden Varianten-Matrix aufbaut, die dieses Paradigma erzeugt.

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